Zivilprozess gegen junge Frau – Flughafen-Blockade in Leipzig: DHL verzichtet auf Schadenersatz

Mehr als 84.000 Euro wollte DHL von Teilnehmern der Flughafen-Blockade im Juli 2021 ursprünglich einfordern. Im ersten Zivilprozess rückte das Unternehmen von seinen Schadenersatzansprüchen ab.

Es war der erste von bislang sechs Prozessen: Am Freitag begann am Landgericht Halle die Zivilverhandlung gegen eine junge Frau wegen einer Blockade am Flughafen Leipzig/Halle vor knapp zwei Jahren. In der Nacht vom 9. zum 10. Juli 2021 hatten 54 Mitglieder der Initiative „CancelLEJ“ eine Zufahrtsstraße zum Betriebsgelände des Hauptterminals des Airports und damit zum DHL-Logistikzentrum dichtgemacht.

Nach Angaben des Landgerichts Halle hätten Mitarbeiter des Flughafens dadurch nicht rechtzeitig ihren Dienst beginnen können. Außerdem seien Flüge verspätet gestartet und Anschlussflüge verpasst worden. DHL hatte damals Anzeige erstattet, ein anfangs angenommener Millionenschaden wurde später korrigiert. Das DHL-Tochterunternehmen DHL Hub Leipzig GmbH trat in dem Zivilverfahren als Klägerin auf, fordert einen Schadenersatz von rund 84 000 Euro.

Doch am Ende verzichtete das Logistikunternehmen darauf und bot einen Vergleich an. Wie Behördensprecher Wolfgang Ehm gegenüber der LVZ mitteilte, soll die Demonstrantin von den Schadenersatzansprüchen freigestellt werden, sofern sie den Vergleich annimmt. Sie müsse aber 80 Arbeitsstunden in einem Aufforstungs- oder Naturschutzbetrieb leisten oder ersatzweise 15 Euro pro Stunde bezahlen. Die Prozesskosten könnten laut DHL-Angebot aufgeteilt werden. Und: Die Beklagte soll sich per Erklärung verpflichten, künftig auf die Teilnahme an rechtswidrigen Blockaden zu verzichten.

Zu einer Zusage zu dem DHL-Angebot konnte sich die Gegenseite am Freitag nicht durchringen. Bis zur geplanten Urteilsverkündung am 11. August haben die Beklagte und deren Anwalt Zeit für eine schriftliche Stellungnahme, sagte Ehm. Im Vorfeld des Prozesses hatten die DHL-Anwälte auch die anderen 53 Teilnehmer der Blockade angeschrieben und ein entsprechendes Vergleichsangebot unterbreitet. Allerdings habe es dem Gericht zufolge darauf keinerlei Reaktion gegeben.

Stattdessen hatte eine Initiative „Repression nicht zustellbar“ massiv kritisiert, dass es überhaupt zu einem Zivilverfahren kam. „Wenn alle, die legitimen Klima-Protest durchführen, Angst haben müssen, von einem Großkonzern vor Gericht geschleift zu werden, dann haben wir ein Demokratie-Problem“, hieß es in einem Statement. Mit ihrer Blockade im Sommer vor zwei Jahren forderten die Demonstranten einen Ausbaustopp des Frachtflughafens, ein Nachtflugverbot und eine Verkehrswende. Eine entsprechende Kundgebung hatte der Landtagsabgeordnete Marco Böhme (Linke) angemeldet.

Strafrechtliche Ermittlungen wegen Nötigung abgeschlossen

Durch die Aktion stauten sich vor der Einfahrt mehrere Lastwagen. Weil auch eine Straße blockiert wurde, kam es zum Rückstau bis zum Schkeuditzer Bahnhof. Nach Unternehmensangaben werde am DHL Express Drehkreuz Leipzig größtenteils zeitkritische Fracht umgeschlagen, etwa wichtige Ersatzteile für die Industrie sowie gekühlte oder gefrorene Waren oder lebenswichtige medizinische Güter.

Bislang sind nach LVZ-Informationen zwei weitere Zivilverfahren in Halle, die noch nicht terminiert sind, sowie drei Verfahren am Landgericht Leipzig anhängig. Hier soll am 18. Juli vor einer Zivilkammer verhandelt werden. Auch strafrechtlich hatte die Aktion Konsequenzen. Wie Oberstaatsanwalt Ricardo Schulz auf Anfrage mitteilte, sind die Ermittlungen gegen die 54 Beschuldigten wegen gemeinschaftlicher Nötigung abgeschlossen. Zum Ergebnis wolle man sich aber erst äußern, wenn die Beschuldigten informiert wurden. Bisher habe das für den Flughafen Leipzig-Halle örtlich zuständige Amtsgericht Eilenburg auf Antrag der Staatsanwaltschaft gegen zwei Beschuldigte jeweils einen Strafbefehl wegen des Tatvorwurfs der Nötigung erlassen. Durch die beiden Angeklagten sei Einspruch eingelegt worden.


Kommentar – Gefährliche Selbstermächtigung der Klima-Blockierer

Gegen eine Demonstration bei DHL am Flughafen hätte niemand rechtliche Schritte eingeleitet. Wenn sich aber Aktivisten über alle Regeln hinwegsetzen, ist das eine Gefahr für die Demokratie, findet Redakteur Frank Döring.

Ist die Demokratie in Gefahr? Klimaaktivisten behaupten das, weil DHL Schadenersatzforderungen erhob, nachdem Demonstranten im Juli 2021 die Zufahrt am Flughafen blockierten. Sie berufen sich bei ihrem Tun auch auf einen klimabedingten übergeordneten Notstand. Wer so argumentiert, will Demokratie nur dann, wenn sie eigenen Zielen dient.

Keine Frage: Die Versammlungsfreiheit ist ein hohes Gut, eines der Abwehrrechte des Bürgers gegen den Staat. Deshalb hätte wohl niemand straf- und zivilrechtliche Schritte erwogen, wenn bei DHL eine ganz normale Kundgebung stattgefunden hätte, ohne dass Betriebsabläufe und Logistikketten gestört werden.

Wenn Aktivisten aber darüber hinaus bereit sind, Straftaten zu begehen für ein vermeintlich moralisch höheres Ziel, ist das mehr als bedenklich. Und wenn sie eine Art Notstand herbeikonstruieren, der sie dazu berechtigt, alle Spielregeln außer Kraft zu setzen, ist das tatsächlich eine Gefahr für die Demokratie. Was wäre denn, wenn aus einem anderen politischen Lager jemand mit einer ähnlichen Selbstermächtigung vorgehen würde und sich über alles hinwegsetzen würde?

Ein Zusammenleben ist ohne Kompromisse nicht möglich. Auch der im Verfahren gegen die Blockierer angebotene Vergleich ist so zu verstehen. Und 80 Arbeitsstunden in einem Aufforstungs- oder Naturschutzbetrieb sind für Klima und Umwelt allemal sinnvoller als eine Straßenblockade.