Gestern, heute, morgen – Feuer und Flamme der Repression!

***Triggerwarnung: Sexualisierte Gewalt***

Im Antifa Ost Verfahren wurde nun nach knapp 100 Prozesstagen das Urteil gesprochen und lange Haftstrafen verhängt. Das ärgert und verunsichert uns, verwundert uns jedoch leider nicht. Der Paragraph 129 wird seit jeher verwendet um Strukturen oder Einzelpersonen, die zu Strukturen konstruiert werden, auszuschnüffeln und zu kriminalisieren. 

Im Antifa Ost Verfahren wurde die Kriminalisierung emanzipatorischer Strukturen jedoch auf eine neue Stufe gehoben – Beweislast und Unschuldsvermutung (an die wir auch vorher nicht geglaubt haben, jedoch werden sie oft als Argumente angebracht, um einen angeblichen Rechtsstaat, von dem wir nichts halten, zu legitimieren) wurden von der Generalbundesanwaltschaft und dem Gericht in diesem Verfahren umgekehrt bzw. überhaupt nicht angewendet. Zur Herkunft und Anwendung des Paragraphen 129 wurde im Laufe des Verfahrens schon viel gesagt, desswegen verweisen wir hier nur darauf (z.B. hier).

Die Auswirkungen, die die Anwendung des Paragraph 129 in diesem Verfahren auf emanzipatorische Politik haben werden, sind schwerwiegend. Als Szene müssen wir uns mit diesen auseinandersetzen und uns selbst fragen, wie gut wir aktuell mit der steigenden Repression umgehen und ob Strategien die in der Vergangenheit funktioniert haben so noch funktionieren. (hier ein Text von uns zu zunehmender Repression und einem fehlenden Umgang damit, hier ein Text von KAPPA Leipzig: „Leipzig, die Repression wirkt. Reden wir darüber)

Auch müssen wir uns die Zeit nehmen und die Energie aufbringen, unsere Strategien weiterzuentwickeln und anzupassen.

Doch nicht nur die Anwendung des Paragraphen 129 und die langen Haftstrafen sind in diesem Verfahren richtig scheiße gelaufen. Auch in den Solidaritätsstrukturen, in der Transparenz mit schwerwiegendem Wissen über Angeklagte, der Solidarität mit Betroffenen sexualisierter Gewalt, ist vieles schief gelaufen – das Verfahren verlief auf vielen Ebenen katastrophal. (hier und hier Texte von uns kurz nach den Outings von Johannes Domhöver)

Verantwortlich dafür sind nicht nur die Angeklagten und ihr Umfeld, sondern die ganze Szene, die eine viel zu lange Zeit nicht transparent mit Vorwürfen umgegangen ist, Macker-Verhalten akzeptiert hat, sexualisierte Übergriffigkeiten in ihren eigenen Reihen strategisch verschwiegen hat. Johannes Domhöver wurde von vielen erst als Verräter betitelt, nachdem er mit den Cops geredet hat, nicht schon nachdem er als Vergewaltiger geoutet wurde. Diese Dynamik müssen wir durchbrechen, wir müssen den Kampf gegen das Patriarchat ernst nehmen, auch in unseren eigenen Reihen und vor allem wenn das manchmal weh tut.

Wir glauben, dass es in der Szene spätestens seit dem Outing von Johannes Domhöver generell vermehrte Auseinandersetzungen mit patriarchalen Strukturen und sexualisierter Gewalt gab (wir wünschen uns sehr, dies wäre schon früher passiert), das heißt jedoch nicht, dass diese nun vorbei sein sollten bzw. genügen. 

Wir hoffen weiterhin auf eine offene Auseinandersetzung mit sexualisierter Gewalt und der Begünstigung dieser durch bestimmte Strukturen. Die Scheiße und der Verrat auf vielen Ebenen, die passiert sind, werden wir jedoch nicht aufhören anzuprangern und auch nicht vergessen. 

Gemeinsam müssen wir aus diesem Verfahren lernen, unsere Erfahrungen an nächste Generationen weitergeben und langfristig an Strukturen arbeiten, die einen Umgang mit sexualisierter Gewalt finden, die Resilienz gegen Repression entwickeln und dabei auf sich und ihre Mitstreiter*innen und Gefährt*innen schauen können. 

Wir wünschen uns einen Umgang mit Repression, der uns nicht auseinander reißt sondern vereint. Einen Umgang, bei dem wir zugeben können, wenn wir Angst haben, wenn uns die Repression trifft, mit dem wir es aber schaffen gemeinsam und solidarisch durch die staatliche Gewalt durchzukommen. Wir wollen eine Basis mit den Leuten schaffen, mit denen wir Politik machen. Wir wollen gemeinsam Politik machen, gemeinsam wachsen, gemeinsam lachen und weinen, unsere Emotionen spüren und auf uns selbst und andere schauen. 

Ein weit verbreiteter Fehlschluss ist, dass Repression irgendwann zu einem Ende kommt. Das nach dem einen Monster Prozess erst einmal Ruhe einkehrt und sich wieder auf das „normale“ politische Alltagsgeschehen konzentriert werden kann. 

Wie wir gerade mal wieder besonders gut beobachten können, ist dies nicht der Fall. Repression ist ein Dauerzustand, dem die linke Szene und Personen, die nicht der Weißen Mittelklassen-/Mehrheitsgesellschaft entsprechen, ausgesetzt sind. Das ist kein Zufall, gehört Repression doch zum staatlichen Gewaltmonopol. Dieser wird auch in Zukunft alles, was ihm gefährlich werden könnte oder nicht in sein Abbild von Normalität passt, ohne mit der Wimper zu zucken und ohne Rücksicht auf Verluste versuchen, zu zerstören. Dafür müssen wir gewappnet sein und damit müssen wir einen besseren Umgang finden.

Wie wir und andere dabei schon an vielen Stellen betont haben, beobachten wir, dass sich oft erst mit Repression auseinandergesetzt wird, wenn diese passiert. Wir möchten deshalb an dieser Stelle erneut betonen, dass es wichtig ist, egal welche Art von emanzipatorischer Politik betrieben wird, sich mit Repression, U-Haft und Knast auseinanderzusetzen, mit Freund*innen und Gefährt*innen darüber zu reden. Bereitet euch vor, setzt euch mit euren Ängsten in Bezug auf Repression auseinander.

Wir sehen auch, dass Solidaritätsarbeit oft von engen Freund*innen und Angehörigen übernommen wird. Dabei vor allem von FLINTA* (Frauen, Lesben, inter, nicht-binäre, trans, agender Personen). Dass diese oft die sind, die Repression emotional auffangen und damit im wesentlichen dazu beitragen, dass Menschen nicht komplett an dieser kaputt gehen. Auch das müssen wir als Szene auf dem Schirm haben und, wie auch schon in einigen Texten erwähnt, einen Umgang mit Repression finden, bei dem die Betroffenheit von Angehörigen und dem Umfeld mitgedacht und auch die patriarchale Komponente von Antirepressionsarbeit beleuchtet wird. 

Wir hoffen, dass wir als Szene aus diesem Verfahren lernen und uns für viele weitere Verfahren wappnen könne. Denn gestern, heute und morgen heißt es für uns: Wir sind alle 129!

Wir solidarisieren und mit allen von Repression und Knast Betroffenen. Mit allen, die in diesem System Gewalt erfahren müssen.

Wir werden weiter kämpfen, gegen Knäste, bis Alle frei sind!  

Criminals for Freedom

Juni 2023