Statement vor der Urteilsverkündung im Antifa-Ost-Verfahren
“Wer gegen Nazis kämpft, kann sich auf den Staat nicht verlassen.” – Esther Bejarano
Nach mehr als anderthalb Jahren Antifa-Ost-Prozess erwarten wir am Mittwoch, dem 31.05.2023, ab 10 Uhr die Urteile. In den letzten 21 Monaten wurden Angehörige und solidarische Beobachter:innen Zeug:innen eines Prozesses, der nichts anderes als eine Bankrotterklärung des vermeintlichen deutschen Rechtsstaates für all jene ist, die zuvor gutgläubig ihr Vertrauen in diesen setzten. Mit diesem 98. Tag soll nun ein zermürbender, langatmiger Prozess zu Ende gehen, der einschneidende Folgen für das Leben der Beschuldigten, ihrer Angehörigen sowie vieler weiterer Antifaschist:innen haben wird.
Für uns ist es an dieser Stelle nicht das Anliegen, einzelne Formen antifaschistischer Arbeit zu diskutieren, abzuwägen oder zu (de-)legitimieren, denn für uns ist eindeutig, dass es sich bei den vorgeworfenen Körperverletzungsdelikten um antifaschistischen Selbstschutz handelt, wenn man die gesellschaftliche Lebensrealität in Sachsen und Thüringen nicht leugnet. Wir möchten mit diesem Text unsere Eindrücke zusammenfassen und teilen, in Vorbereitung auf ein Urteil, von dem wir entsprechend des Prozesses prognostizieren müssen, dass es ein schwerer Schlag werden wird.
Die GBA und der Senat haben alles getan, um das Verfahren nach Möglichkeit zu entpolitisieren und während der Beweisaufnahme eine vermeintliche Beweiskette zu erbringen, die bis in die Plädoyers hinein als über weite Strecken konstruiert bezeichnet werden muss. Eine Kette besteht aus mehr als zwei bis drei Gliedern, die irgendwie zusammen geklebt wurden. Selbst Bundesanwältin Alexandra Geilhorn musste unlängst zugeben, dass es nicht die eine „smoking gun“ gegeben hat. Nichtsdestotrotz hielt sie bis zum Schluss und bis ins letzte Detail an ihrer Anklageschrift fest und fordert für Lina 8 Jahre Haft. Für sie endet der politische Meinungskampf da, wo die Gewalt das Recht einer „Bevölkerungsgruppe“ einschränken soll. Wenn wir nun betrachten, dass das Antifa-Ost Verfahren von der Bundesanwaltschaft mit der Begründung evokiert wurde, dass sich eben diese ‚Bevölkerungsgruppe‘,deren Meinungsfreiheit durch die Beschuldigten eingeschränkt würde, aus Rechtsradikalen und angehenden Rechtsterroristen wie Leon Ringl besteht, dann ist das nicht nur ein Beweis für die Fragwürdigkeit der Bundesanwaltschaft und Soko LinX, sondern erst recht für die Notwendigkeit antifaschistischer Selbstorganisierung. Wer links und rechts, wie beim Hufeisenmodell, gleichsetzt, verteidigt nicht die Demokratie, sondern diffamiert und bekämpft die, die für eine solidarische Gesellschaft kämpfen, in der alle Menschen ohne Angst gemeinsam unterschiedlich sein können. Diese Gleichsetzung relativiert rechte Gewalt und stellt die Realität somit völlig auf den Kopf. Die große Gefahr von links wird heraufbeschworen, wo immer es geht. Das konnte man auch im Verfahren gegen Lina und die drei weiteren Antifaschisten sehen.
Bundesanwältin Geilhorn ist für uns rhetorisch beispielhaft für das Vorgehen des deutschen Staates. Dieser deutsche Staatsapparat ist sehr gut darin, alles Mögliche in der deutschen Geschichte des 20. Jahrhunderts und 21. Jahrhunderts anzuerkennen, ohne dass je irgendwelche Konsequenzen gezogen wurden und erst recht nicht werden. Für uns ist offensichtlich, wie die deutsche Erinnerungskultur funktioniert: Durch das Hochfahren von Phrasen und Symbolik gelang es, sich selbst und die Welt zu überzeugen, man habe entnazifiziert und aufgearbeitet, ohne dass man je einen ernsthaften Preis gezahlt hätte. Dies gilt für den deutschen Umgang mit den Verbrechen im Nationalsozialismus, aber auch mit Blick auf die jüngere deutsche Geschichte: Während verbal Bestürzung und Verurteilung formuliert werden, passiert in der Konsequenz genau gar nichts, um eine Wiederholung zu verhindern. Schauen wir uns also die Kontinuitäten an, die dies für die deutsche Justiz bedeutet: 99% der Prozesse gegen Nazitäter:innen der NS-Zeit haben nie stattgefunden. Bis in die 1980er Jahre war die deutsche Justiz mit Nazis durchsetzt. Generalbundesanwalt Dr. Peter Frank hat Ende 2016 (!) das – mittlerweile abgeschlossene – Forschungsprojekt „Die Bundesanwaltschaft und die NS-Zeit“ in Auftrag gegeben, mit für die Behörde ernüchternden Ergebnis. Er sollte Frau Oberstaatsanwältin Geilhorn einen dringenden Crashkurs in deutscher Geschichte auferlegen, denn ungeachtet der Tatsache, dass sie sich permanent weigerte, ein Eingeständnis staatlichen Versagens im Angesicht mit Rechtsradikalen auch nur erahnen zu lassen, passt auch ein Abstand nehmen von fehlerhaften Thesen nicht in ihr Verständnis. Bis in die §129a Anklage Leon Ringls zieht Geilhorn daher das Narrativ, eine Eskalationsspirale inklusive einer Bewaffnung der Eisenacher um den angehenden Rechtsterroristen Leon Ringl sei erst nach dem antifaschistischen Angriff auf die Nazikneipe Bulls Eye eingetreten. Dies sorgt bei Menschen, die jene „Nationalbefreite Zone“ in Eisenach kennen gelernt haben, für ungläubiges Kopfschütteln. Die Bundesanwaltschaft ist in ihrem Bild gefangen, der Staat tue alles, um die Demokratie vor links und rechts zu retten, und leugnet hierbei nicht nur jahrzehntelange Kontinuität rechter Gewalt, die unterschiedliche Gefahr für die Demokratie, sondern bezeichnet auch den Nazi-Überfall auf Connewitz im Jahr 2016 lediglich als „eskaliertes Demonstrationsgeschehen“, in deren Folge eine vermeintliche kriminelle Vereinigung um Lina als Rädelsführerin aktiv geworden sein soll. Es ist uns nicht bekannt, was Frau Geilhorn und ihr Kollege Herr Mödl in ihre Demorucksäcke packen (offen gesagt, machen beide nicht den Eindruck, als wären sie Demogänger), aber einen Demobesuch mit Äxten, Stahlruten, Eisenstangen, mit Nägeln versetzten Holzlatten, Böllern, Teleskopschlagstöcken, CS-Gas und Pfefferspray hätten wir beiden nicht zugetraut. Vielleicht ist es eine heimliche Vorliebe, einen Sprengsatz, wie er in Connewitz gezündet wurde, stets dabei zu haben – wer weiß schon alles über seine Mitmenschen? Wenig überraschend: Die Generalbundesanwaltschaft zog die Ermittlungen im damaligen Fall nicht an sich, es gab keine Ermittlungen nach §129, denn gewaltbereite Rechte haben in diesem Land das Privileg auf eine Bewährungsstrafe. Als kein „eskaliertes Geschehen“ hingegen wurden die einzelnen Tatkomplexe im Antifa-Ost-Verfahren gewertet, sondern vermeintlich professionelles und kalkuliertes Vorgehen nach einer Feindesliste. „Framing ist alles“, dachte man sich in Karlsruhe und ermittelte einseitig, ohne entlastende Aspekte zu berücksichtigen. Indizien wie Gespräche aus Innenraumüberwachungen, die für Unbeteiligte inhaltlich nichts hergeben konnten, wurden trotz vielfältiger Interpretationsmöglichkeiten zu Lasten der einzelnen Beschuldigten ausgelegt. Im Falle des bereits unter Observation stehenden Berliner Genossen wurde entlastendes Material, das schließlich zu seinem Alibi führte, von derselben Generalbundesanwältin schlichtweg unterschlagen, die auch in diesem Verfahren zuständig ist: Alexandra Geilhorn. Führte dies zum Fallen lassen seiner Anklage? Natürlich nicht, er habe der vermeintlichen Vereinigung psychische Unterstützung und möglicherweise auch physische geleistet, irgendwas wird man mit Sicherheit noch nachkonstruieren können. Ähnlich verhält es sich mit einem der Leipziger Beschuldigten: zwei Beweismittel befinden sich im Ordner seines Verteidigers gegen ihn. Ein Alibi versuchte die Soko Linx zuletzt mit Formel1-Geschwindigkeit auf der Strecke Leipzig-Eisenach zu widerlegen. Letztlich verbleibt als belastendes Material ein uneindeutiges Gesprächsprotokoll aus einer Innenraumüberwachung, und Bilder, die beweisen sollen, dass er mit weiteren Beschuldigten bekannt ist.
Die GBA übernahm die einseitigen Ermittlungstheorien 1:1 von der Polizei und formulierte die Anklageschrift. Und der Senat wird unserer Befürchtung nach, trotz aller Lücken und Ungereimtheiten in den Thesen der GBA, BKA und LKA, im Schuldspruch der GBA kaum widersprechen. Wir lassen uns gern positiv überraschen. Während des Prozesses hat der Vorsitzende Richter Schlüter-Staats jedoch aktiv dazu beigetragen, dass dieser Prozess als Desaster zu bezeichnen ist. Jurastudierende verließen am Ende des Verhandlungstages nicht selten irritiert über das Verhalten des Vorsitzenden den Gerichtssaal. Ob Anschreien, beleidigende Äußerungen oder das Beschneiden des Fragerechts der Verteidigung an Zeug:innen: Hier widerspricht wohl die Theorie des Studiums der Praxis dieses Prozesses. Bisweilen, könnte man spitz formulieren, hatte der Vorsitzende auch Probleme, seine Rolle als Richter in der Gewaltenteilung von der der Generalbundesanwaltschaft und Polizei als Exekutive zu trennen, warf sich verteidigend vor diese. In Erinnerung wird auch der Tag bleiben, an dem er die Erklärung der Beschuldigten abbrach, die sich erstmals äußern wollten, nachdem der Zeuge und Verräter Domhöver sich tagelang als eine Art Experte in eigener Sache in Bezug auf Antifaschismus stilisieren konnte. Die Bezeichnung “Verräter” monierte Schlüter-Staats im Zusammenhang mit dem von den Sicherheitsbehörden gewonnenen Domhöver mit folgenden Worten: “Einen Überläufer der Waffen-SS zur Roten Armee hätte auch niemand als Verräter bezeichnet.” Diesen Satz lassen wir an dieser Stelle unkommentiert stehen.
Auf der Suche nach Beweisen für die Angriffe auf Faschisten verwendete das LKA Maßnahmen wie akustische Innenraumüberwachung, die bei Ermittlungen zu Straftaten mit besonderem öffentlichen Interesse, wie etwa einer „kriminellen“ bzw. „terroristischen Vereinigung“ zum Einsatz kommen. Der Chef der Soko LinX Dirk Münster erklärte bereits kurz nach Linas Verhaftung, man habe es mit Taten an der „Schwelle zum Terrorismus“ zu tun, und stellte damit schon lange vor Anklageerhebung und dem Prozess klar, worum es geht: die Legitimation für die eigene Behörde, denn wo es „quasi-Terrorismus“ gibt, müsse durchgegriffen werden. Außerdem wird die Bedeutung des Begriffes „Terror“ verwischt und verharmlost. Zum Vergleich: Faschisten, die seit Jahren Waffen horten, nach willkürlichen Merkmalen Menschen ermorden oder auf der Straße den Hass auf Menschen anderer Hautfarbe, Religion, Andersdenkende oder aufgrund von Geschlecht oder Sexualität organisieren, werden regelmäßig als „Einzeltäter“ bezeichnet. Es wird sich alle Mühe gemacht, einen Teufel an die Wand zu malen, während beim nächsten Waffenfund bei Polizisten oder Soldaten beschwichtigt und eher selten eine „besondere Bedeutung“ bei politisch rechten Straftaten festgestellt wird. Die Soko LinX steht unter erheblichem politischen Erfolgsdruck. Sie wurde im November 2019 im Wahlkampf als Pendant zur, seit den Neunzigern existenten, Soko Rex am LKA eingerichtet und soll die Linke Szene ausforschen und unter Druck setzen. Versuche, eine „Soko Linksextremismus“ einzurichten, gab es jedoch bereits im Jahr 2000. Lange Zeit war die Arbeit der Soko LinX ergebnislos und von Pannen geprägt. Man lobte sich überschwänglich selbst und betrachtet den Prozess als besonders wichtiges Projekt für die Legitimation ihrer Existenz. Ob Hubschrauberflug nach Karlsruhe am Tag der Verhaftung von Lina inklusive offensichtlich bestelltem Fotografen aus dem Hause Axel-Springer, die Weitergabe von privaten Daten aus Ermittlungsakten an das rechtsradikale COMPACT-Magazin oder die Kooperation und der Informationsaustausch über linke Aktivisten zwischen Soko und Ex-NPD Stadtrat und Neonazi Enrico Böhm: Die Arbeit der Soko LinX erscheint in einem äußerst fragwürdigen Licht. Da der Vorwurf nach §129 maßgeblich auf der Glaubwürdigkeit der Soko LinX beruht und diese nicht nur mit in Leipzig stadtbekannten Neonazis zusammenarbeitet und dann auch noch Informationen an rechtsradikale Medienhäuser durchsticht, ist nicht nur der Vorwurf nach §129, sondern die Existenz der Soko LinX allgemein mehr als fragwürdig. Entsprechend dieser Fragwürdigkeit erschienen Polizeibeamte mit juristischem Beistand, ob nun wegen interner Verfahren aufgrund der zuvor genannten Weitergabe von Akteninformationen an rechte Medien oder aufgrund des Munitionsskandals. An der Kompetenz und Glaubwürdigkeit wurde seitens GBA und Senat nicht gezweifelt, die Verteidigung mehrfach in ihrem Fragerecht eingeschränkt, Fragen vom vorsitzenden Richter abgewürgt. Was soll da schon schief gehen in einem rechtsstaatlichen Verfahren? Für Erheiterung und Ungläubigkeit im Publikum sorgten auch die Verkleidungen einiger Beamter mit falscher Nase und Perücke sowie schlecht verstelltem Dialekt. Ansonsten bleibt zur Soko LinX zu sagen, dass diese weiterhin martialisch Hausdurchsuchungen durchführt. Als Kampagne solidarisieren wir uns ausnahmslos mit allen betroffenen Antifaschist:innen, die derartige Eingriffe in ihr Privates erleiden müssen. Dirk Münster ist mittlerweile soweit in seinem Verfolgungswahn von Antifaschist:innen, dass er eine weitere RAF im Zusammenhang mit den derzeit nicht greifbaren Genoss:innen, welche aus Budapest gesucht werden, heraufbeschwört. Im Gegensatz zu Innenminister Armin Schuster sieht er grundsätzlich die Gefahr in Sachsen vorwiegend bei „einer neuen Qualität linker Gewalt“ und befördert dieses Bild aktiv in der Bevölkerung, auch wenn die Zahlen dies nicht hergeben. (Insgeheim haben wir uns als Kampagne darauf eingestellt, dass Dirk Münster demnächst in einem seiner Interviews erzählt, Linas Verlobter sei soweit untergetaucht, dass er für die Sprengung von Nordstream 2 infrage kommt.)
Was die Polizei der GBA an Spuren liefern konnte, sind vermeintliche Beweise, die von der Anklage zusammengefasst und als Beleg für die Täterschaft der Beschuldigten angeführt werden: eine DNA-Mischspur, die zu Lina passen könnte. Bilder eines Tatortes auf einer Speicherkarte. Abgehörte Gesprächsfetzen. Ohnehin ist Lina die einzige Frau im Umkreis von 300km, die hochdeutsch spricht und Antifaschistin ist, weswegen ihr auch alle Taten zugerechnet wurden, bei der zum Anklagezeitpunkt eine Frau dabei gewesen sein könnte.
Für uns von besonderer Relevanz in diesem Verfahren ist eine mögliche Verurteilung wegen der Bildung einer kriminellen Vereinigung gemäß §129 StGB. Über diese mutmaßliche Vereinigung wissen Soko LinX und Bundesanwaltschaft außer, dass sie gemeinsam Faschisten körperlich angegriffen haben sollen, weder einen Zeitraum, in dem die Gruppe sich gründete, einen Namen oder Finanzen, noch sind alle Mitglieder der vermeintlichen Gruppe bekannt. Mit der Gesetzesänderung von 2017 ist all dies jedoch nicht mehr notwendig. Fraglich ist nun, ab wann eine kriminelle Vereinigung existiert, ab wann jemand Mitglied ist, ab wann man von einer Vereinigungstat sprechen kann u.v.m. Dass diese Gruppe existiert, ist notwendig für die Sonderkommission LinX und die klageführende Bundesanwaltschaft. Im Kern geht es darum, das Konstrukt der kriminellen Vereinigung auf organisierten Antifaschismus anzuwenden und damit eine politische Haltung kriminalisieren zu können. Insbesondere in Sachsen hat die Verfolgung von Antifaschist:innen Tradition. Von Lothar König und dem 129er gegen Dresden Nazifrei, dem Sportgruppen-Verfahren in Dresden über die Verfolgung der linken Fussballfans von Chemie Leipzig, die Hausdurchsuchungen in Connewitz wegen eines Angriffs auf Nazis in Wurzen zur Inhaftierung von Lina: Ein seit Übernahme der DDR von der CDU geführtes Innenministerium, ein konservativer Justizapparat und eine rechte Polizei führen zu einer einseitigen Kriminalisierung Linker. Der Polizei in Sachsen kann man guten Gewissens vorwerfen, sich als politischen Akteur gegen Links etabliert zu haben. Ebenso dem Richter des Bundesgerichtshofes, der bei Haftprüfung Linas vermerkte, all dies erinnere ihn an beginnende Weimarer Zeiten. Um es deutlich auszuformulieren: Beteiligte der Exekutive und Judikative ziehen ins Feld gegen Linke mit der Analyse, Auslöser für die politische Eskalation sei die Gegenwehr von Antifaschist:innen gegen dezidierte Faschisten und der Grund für den Faschismus in Deutschland wäre der Antifaschismus gewesen. Lasst uns gemeinsam daran erinnern, dass es genau jene Menschen waren, die sich heute so äußern, die es vorzogen Faschisten an die Macht zu lassen zum Erhalt des eigenen Wohlstandes, als mit Antifaschisten die Nazis aufzuhalten.
Für uns von besonderer Relevanz in diesem Verfahren ist eine mögliche Verurteilung wegen der Bildung einer kriminellen Vereinigung gemäß §129 StGB. Über diese mutmaßliche Vereinigung wissen Soko LinX und Bundesanwaltschaft außer, dass sie gemeinsam Faschisten körperlich angegriffen haben sollen, weder einen Zeitraum, in dem die Gruppe sich gründete, einen Namen oder Finanzen, noch sind alle Mitglieder der vermeintlichen Gruppe bekannt. Mit der Gesetzesänderung von 2017 ist all dies jedoch nicht mehr notwendig. Fraglich ist nun, ab wann eine kriminelle Vereinigung existiert, ab wann jemand Mitglied ist, ab wann man von einer Vereinigungstat sprechen kann u.v.m. Dass diese Gruppe existiert, ist notwendig für die Sonderkommission LinX und die klageführende Bundesanwaltschaft. Im Kern geht es darum, das Konstrukt der kriminellen Vereinigung auf organisierten Antifaschismus anzuwenden und damit eine politische Haltung kriminalisieren zu können. Insbesondere in Sachsen hat die Verfolgung von Antifaschist:innen Tradition. Von Lothar König und dem 129er gegen Dresden Nazifrei, dem Sportgruppen-Verfahren in Dresden über die Verfolgung der linken Fussballfans von Chemie Leipzig, die Hausdurchsuchungen in Connewitz wegen eines Angriffs auf Nazis in Wurzen zur Inhaftierung von Lina: Ein seit Übernahme der DDR von der CDU geführtes Innenministerium, ein konservativer Justizapparat und eine rechte Polizei führen zu einer einseitigen Kriminalisierung Linker. Der Polizei in Sachsen kann man guten Gewissens vorwerfen, sich als politischen Akteur gegen Links etabliert zu haben. Ebenso dem Richter des Bundesgerichtshofes, der bei Haftprüfung Linas vermerkte, all dies erinnere ihn an beginnende Weimarer Zeiten. Um es deutlich auszuformulieren: Beteiligte der Exekutive und Judikative ziehen ins Feld gegen Linke mit der Analyse, Auslöser für die politische Eskalation sei die Gegenwehr von Antifaschist:innen gegen dezidierte Faschisten und der Grund für den Faschismus in Deutschland wäre der Antifaschismus gewesen. Lasst uns gemeinsam daran erinnern, dass es genau jene Menschen waren, die sich heute so äußern, die es vorzogen Faschisten an die Macht zu lassen zum Erhalt des eigenen Wohlstandes, als mit Antifaschisten die Nazis aufzuhalten.
Der Antifa-Ost-Prozess, das haben die über 90 Prozesstage gezeigt, hätte ebenso am Landgericht, statt vor dem Staatsschutzsenat des Oberlandesgericht in Dresden, verhandelt werden können, hätte die Bundesanwaltschaft nicht die Ermittlungen mit der fadenscheinigen Begründung, man habe es mit der „Schwelle zum Terrorismus“ zu tun, begründet. Auch ein Johannes Domhöver hatte nicht viel von Substanz zu sagen, um diese Aussage zu stützen, außer weitere Menschen aus dem Bekanntenkreis um Lina und ihren Verlobten zu benennen und dadurch schwer zu belasten. Dabei machte er sich die “Kreistheorie” des LKA zu eigen und vermochte vor Gericht nicht einmal zu sagen, ob nun er diese aufgestellte hatte oder die Soko LinX. Ansonsten werden wir an dieser Stelle keine Worte über ihn verlieren, da ihm medial wie vor Gericht überproportional viel Bedeutung zugeschrieben wurde, obwohl er bewies, lediglich einen guten Deal für seine Zukunft erreichen zu wollen und dafür liefern zu müssen. Prompt wurde die Anklage nach §129 gegen ihn fallen gelassen und er trotz Bewährung zum Zeitpunkt der Begehung der Straftat zu einer erneuten Bewährung verurteilt. Die erhoffte Freiheit wird er im Zeugenschutzprogramm in Abhängigkeit der deutschen Sicherheitsbehörden niemals erlangen.
Ebenso wollen wir keine unnötige Zeit mit der Schilderung von Aussagen der Nazizeugen mit ihren Nazianwälte verschwenden, da diese noch weniger Substanz enthielten. Vor allem der Fakt, ob nun eine Frau bei den Angriffen dabei war oder nicht, ist in den meisten Fällen ungeklärt, so änderten sie ihre Aussagen doch schneller, als sie die Fragen zu ihrer Gesinnung beantworten konnten. „Rechtsaktiv“ wurde für uns neben „denklogischen Möglichkeiten“ schnell zu Unwörtern des Verfahrens.
Nicht unerwähnt wollen wir die Rolle eines Großteils der Medien lassen. Die Sensationsgier, mit der der Gesellschaft ein asymmetrisches Bild von linker versus rechter Gewalt mit einer überspitzten Berichterstattung zu Lina vermittelt wurde, ist etwas, das uns anwidert und nachhaltig Eindruck hinterlassen hat. Nicht nur wurden Linas Persönlichkeitsrechte missachtet und sie des Öfteren in einem Satz mit der NSU-Rechtsterroristin Beate Zschäpe genannt. Besonders die Bilder, wie Lina aus dem Hubschrauber in Karlsruhe zur Generalbundesanwaltschaft abgeführt wird, sollten Erinnerung an den Halle-Attentäter wecken. Titel wie Rote Rächerin, Hammerbande – kein Framing war einigen Journalist:innen zu billig. So ganz passte Lina jedoch nicht in das fabulierte Bild einer Linksterroristin. Also schuf man andere Erklärungsmuster. Eines hat die Springerpresse gefunden, und zwar in Linas Partnerschaft mit einem Mann, der sie in die sogenannte “gewaltbereite linksextremistische Szene” herangeführt haben soll. Das Bild der unschuldigen, verführten und unselbstständigen Frau wich schließlich dem Bild des Popstars, der es wagt, seinen Angehörigen zu winken, welche kurzum zu „Anhänger:innen“ verklärt wurden. Dass sich nicht nur männliche Journalisten mit einer selbstbestimmten linken Frau nicht wohl fühlen, zeigt sich in der sonstigen Berichterstattung, die von sexistischen Stereotypen nur so strotzt. Bis zum letzten Prozesstag notierte eine Journalistin im Saal Linas Kleidung inklusive Nagellackfarbe. Das muss dieser Qualitätsjournalismus sein, sonst müsste man sich mit gesellschaftlich unangenehmen Realitäten und Widersprüchen auseinandersetzen. Auch gegenwärtig interessiert es jene Sensationslüsternen unter den Journalist:innen mehr, was an einem TagXAntifaOst passieren könnte, als eine Gesamtschau und Einordnung des Prozesses vorzunehmen. Und somit richten wir uns darauf ein, dass wir Medienvertreter:innen auch diesmal keine Interviews geben, werden sie ihre Linsen am Ende ohnehin nur auf jedes brennende Stück Müll richten, als sei es mit einem Asylbewerberheim gleichzusetzen. Auf mehrfache Nachfrage können wir auch von endlosen Podcast-Versuchen einiger Zeitungen guten Gewissens abraten, da der Hammer den Nagel um Kilometer verfehlt. Medial wurden die Verhaftung und das Verfahren groß aufgebauscht und es wurden gezielt Informationen an die Boulevardpresse, an erster Stelle natürlich an die Springerpresse, durchgestochen. Persönliche Daten werden bis heute im Antifa-Ost „Komplex“ an Medien weitergegeben. Natürlich konnte man bis heute keine Quelle des Datenlecks finden.
Es ist letztlich ganz gleich, welche Ausprägung der antifaschistischen Arbeit man bevorzugt, um am Ende des Verfahrens konstatieren zu können, dass in Dresden antifaschistische Werte in Form einer Gesinnungsjustiz angegriffen werden. Stattdessen fand eine Beweislastumkehr statt und die Pflicht zur Vorlage von Beweisen für die Unschuld der Beschuldigten wurde konsequent auf die Verteidiger:innen abgewälzt. Selbst die Argumentation, Antifaschist:innen handelten nicht aus Eigennutz, sondern kämpften gegen eine reelle faschistische Gefahr mit dem Motiv andere zu schützen, wurde nachteilig bewertet. Wir stehen bis zum Ende dieses Prozesses aus tiefster Überzeugung an der Seite der Beschuldigten und ihrer Angehörigen!
Wir möchten eindeutig nachfolgenden Forderungen formulieren:
Wir fordern das Ende der Kriminalisierung von Antifaschismus und die Freilassung von Lina sowie Freisprüche für alle vier Beschuldigten.
Wir rufen alle linken Kräfte dazu auf, sich gegen Kriminalisierung von Antifaschismus in jedweder Form zu stellen. In diesen Zeiten brauchen wir einen starken, lückenlosen Antifaschismus. Zivilgesellschaftlich und konsequent. Keine Kriminalisierung und Verfolgung, sondern Förderung! Gerade weil dieser Staat jene nicht schützt, die es am nötigsten haben. Lassen wir uns angesichts der Repression nicht einschüchtern, sondern mit anderen kriminalisierten Widerständigen vernetzen und weiterkämpfen: Ob Armut kriminalisiert wird, Antifaschist:innen, Migrant:innen, Klimakampf usw – der autoritäre Staat hat erst begonnen, lassen wir dies nicht unwidersprochen. Antifa ist Landarbeit, Antifa bleibt Handarbeit!
An dieser Stelle möchten wir die Gelegenheit nutzen alle Antifaschist:innen solidarisch zu grüßen: jene, die uns fehlen, weil sie inhaftiert wurden, wie jene in Deutschland, Ungarn, Belarus, Russland oder Griechenland, und jene, die derzeit von der Staatsgewalt gejagt werden, um sie ihrer Freiheit zu berauben; wir grüßen jene, die im Zusammenhang des Verfahrens und darüber hinaus Repression erfahren und auch all jene, die sich in Solidarität mit den Angeklagten die Straße nehmen und genommen haben.
Freiheit für Lina und alle Antifaschist:innen weltweit!
Wir sind alle LinX! – Kampagne gegen die Kriminalisierung von Antifaschismus
Leipzig, 30.05.2023