Plädoyer beim Prozess um Lina E.: Publikumsproteste und ein singender Anwalt
Das Verfahren vor dem Dresdner Oberlandesgericht geht seinem Ende zu. Am Mittwoch hielt der Anwalt eines der Mitangeklagten von Lina E. ein polemisches Plädoyer – bei dem er sogar anfing zu singen.
Dresden. Die Unterstützerinnen und Unterstützer von Lina E. haben sich ein Ritual ausgedacht, mit dem sie sich über den Rechtsstaat und dessen Regeln lustig machen: Sobald die Angeklagte den Gerichtssaal betritt, stehen sie alle stramm. Kommt der Richter hinein, geht alles etwas langsamer. Einige bleiben ganz sitzen. Der Richter quittiert das mit strengen Ansagen und droht Maßnahmen an.
Der Prozess gegen die Leipziger Studentin Lina E., die vor dem Dresdner Oberlandesgericht als Anführerin einer linksextremen Bande verurteilt werden soll, ist natürlich auch das: Eine Bühne für all jene, die den Rechtsstaat verachten. Oder die jedenfalls sanfte Zweifel anmelden.
„Warum habt Ihr Hitler nicht verhindert?“
Das konnte man am Mittwoch nicht nur auch aus dem Publikum schließen. Sondern auch aus den Plädoyers der Anwälte, die einen von Lina E.s drei Mitangeklagten vertreten: Jannis R.
Der Leipziger R., 38 Jahre, geboren in Freiberg, arbeitete in einem Kindergarten, später als Pfleger. Auch er soll an Überfällen der angeblichen Gruppe um Lina E. beteiligt gewesen sein. Bevor sein Dresdner Verteidiger Oliver Nießing das am Mittwoch umfangreich zu widerlegen versuchte, holte er zu einem ganz anderen Plädoyer aus, das ganz allgemein auf die Notwenigkeit von Gewalt gegen Rechtsextremisten abstellte.
Die Angeklagten hätten „die politische Auseinandersetzung in den militanten Straßenkampf verlagert“, zitierte Nießing aus dem Plädoyer der Staatsanwaltschaft. Und empfiehlt dann „einen Blick in die Geschichte“. Der Rechtsanwalt zitierte umfangreich aus Werken über die Weimarer Republik und den Nationalsozialismus. Etwa Horst Möller, der fragte: „Warum habt Ihr Hitler nicht verhindert?“ Anwalt Nießmann warf daraufhin die Frage auf, ob es nicht auch gute politische Gewalt gebe.
„Parteiergreifend“ und „voller Belastungseifer“
Und er berief sich auf die damalige Kanzlerin Angela Merkel, die nach Ermordung des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke „ein schonungsloses Vorgehen gegen gewaltbereite Neonazis“ forderte. „Muss man den Rechtsextremismus heute etwa nicht mehr in den Anfängen bekämpfen?“, fragte Nießmann mit Blick auf die Vorwürfe gegen die Angeklagten.
In seinem zweiten Teil ging der Dresdner Anwalt auf einen weiteren Satz aus dem Plädoyer der Staatsanwaltschaft ein: „Es gibt keine Smoking Gun, keinen Beweis, der aus sich heraus alles erklären würde.“ Die Staatsanwälte hatten argumentiert, die Schuld der Angeklagten ergeben sich aus der „Gesamtschau“ der Indizien. Das sieht Nießmann anders – und fügt an: „Es besteht keine Pflicht des Angeklagten, Beweismittel zur Erbringung seines Alibis vorzulegen.“ Es sei eine der Besonderheit des Dresdner Verfahrens, dass er an diesem Satz habe zweifeln müsse.
Die Staatsanwälte, findet Nießmann, seien in den zurückliegenden, mehr als 90 Prozesstagen „parteiergreifend“ aufgetreten. Er attestierte ihnen auch „Belastungseifer“ – etwa, als Ermittler das Alibi eines Angeklagten überprüften, indem sie die Strecke zwischen Tatort und fraglichem Alibi-Standort mit mehr als 200 Kilometer pro Stunde im Auto abfuhren.
Plötzlich singt der Rechtsanwalt
Das Plädoyer des Anwalts Nießmann dauerte letztlich weit mehr als zwei Stunden. Immer wieder argumentierte er polemisch oder zynisch, begann einzelne Sätze zu wiederholen, um sie noch eindringlicher zu präsentieren. Einmal fing der Anwalt gar an zu singen: „Ich mache mir die Welt, wie sie mir gefällt“, auf die Melodie von Pippi Langstrumpf, um zu zeigen, dass die Anklage aus seiner Sicht eher konstruiert als stichhaltig sei.
Am Schluss hielt Nießmann gar einen Rosenkranz, eine Gebetskette, hoch. „Ein Rosenkranz, oder wie Bundesanwaltschaft sagen würde: eine Beweiskette“, so Nießmann. „Man muss eben nur dran glauben.“ Für seinen Mandanten Jannis R. beantragte er Freispruch.