Ex-NPD-Stadtrat Enrico Böhm entlastet Lina E. im Prozess vorm OLG
Lina E. soll an mehreren Angriffen auf Rechtsradikale direkt beteiligt gewesen sein. Auch auf den ehemaligen Leipziger NPD-Stadtrat Enrico Böhm? Dessen Aussage lässt daran zweifeln.
Im Oktober 2018 ist der damalige Leipziger NPD-Stadtrat Enrico Böhm vor seiner Wohnung im Stadtteil Leipzig-Gohlis zusammengeschlagen worden – und Lina E., angeklagt vor dem Oberlandesgericht Dresden wegen mehrerer Übergriffe auf Rechtsradikale, soll dabei gewesen sein.
Gebrochene Kniescheibe: Gestern wurde Böhm dazu als Zeuge vor Gericht gehört. Die wichtigste Frage des Tages versuchte er, seine Worte, „nicht chauvinistisch“ zu beantworten: „So einen Übergriff habe ich einer Frau einfach nicht zugetraut“, sagte er. Um dann doch noch bei dem zu bleiben, wie er die Tat wahrgenommen hatte, fuhr er fort: Vier mit Sturmhauben Vermummte hätten ihn an dem Tag vor seiner Wohnung aufgelauert, niedergeschlagen, gegen Kopf und Knie getreten. Die Kniescheibe brach mehrfach, im Gesicht blieben Schmerzen und Schwellungen. Sportlich seien die vier Angreifer gewesen, sagte Böhm, größer als er selbst, „da war keiner dabei, der schwächlich war“. Und vor allem: keine Frau. Jedenfalls, sagt Böhm, so weit er das beurteilen könne, anhand der Staturen aller und anhand der Stimme eines der Angreifer, der gerufen habe: „Auf den Kopf treten, auf den Kopf treten!“ Die Leipziger Studentin Lina E. ist zusammen mit drei Männern unter anderem wegen der Bildung einer kriminellen Vereinigung angeklagt. Die Gruppe hat den Vorwürfen zufolge Neonazis ausspioniert und bei Angriffen schwer verletzt. Enrico Böhm soll einer „in der Reihe“ gewesen sein, wie er es selbst nennt. In seinem Falle ist die Aussage, es seien nur Männer gewesen, die ihn geschlagen hätten, besonders brisant: Die meisten Übergriffe der sogenannten „Gruppe E.“ werden jeweils mehreren der Angeklagten zugerechnet. Im Fall Böhm aber ist Lina E. die einzige der vier, die angeklagt ist und auch selbst mit am Tatort gewesen sein soll.
Böhm: „Bin nicht radikal“: Enrico Böhm jedenfalls ist sich sicher, dass es Linksradikale gewesen sein müssen, die ihn verletzt haben. Aber bei der Frage, warum die es auf ihn abgesehen haben könnten, wand er sich. Ob es wohl möglich sei, wollte das Gericht von Böhm wissen, dass die Öffentlichkeit ihn als rechtsradikal wahrnehme – ihn, den damaligen NPD-Stadtrat und Chef des NPD-Kreisverbandes von Stadt und Land? Nein, sagt Böhm, radikal sei er nicht. Erst nach einer Verhandlungspause, in der er noch einmal in den Sächsischen Verfassungsschutzbericht geschaut habe und dort offenbar „seine Wenigkeit“ wiedergefunden hatte, sagt er: „Es könnte sein, dass ich als rechtsradikal wahrgenommen werde.“ Böhm war zwar mit einem Anwalt erschienen, verstrickte sich aber teilweise in Aussagen, die für ihn noch juristisch problematisch werden könnten. So nannte er Namen von Personen, deren DNA im Zusammenhang mit einem Angriff auf ihn 2014 gesichert worden seien.
Selbst Polizei aufgesucht: Das Gericht stellte klar, dass es da andere Kenntnisse habe. Auch die Frage, welche Kontakte Böhm zur Polizei unterhält, wurde diskutiert. Böhm habe die Beamten eigenen Angaben nach „selbstverständlich“ darauf hingewiesen, wenn er „neue Erkenntnisse“ zu dem Übergriff auf sich gehabt habe. Aussagen habe er aber nur getätigt, wenn er offiziell geladen worden sei, „nicht auf einen Kaffee beim Bäcker oder so.“ Aus den Akten aber, die dem Gericht vorliegen, geht hervor, dass Böhm mindestens einmal von sich aus die Polizei aufgesucht hat. Der Prozess wird in der nächsten Woche fortgesetzt. Dann soll ein weiteres mutmaßliches Opfer – ein bekannter Neonazi aus Wurzen – als Zeuge gehört werden.
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