Leipziger Taborkirche: Wut, Trauer und Scham nach Übergriff gegen Autorin Sarah Vecera
Bei ihrer Lesung in der Leipziger Taborkirche ist die Autorin Sarah Vecera von einem Besucher bedrängt worden, die Security musste eingreifen. Die Theologin hatte ihr Buch „Wie ist Jesus weiß geworden? – Mein Traum von einer Kirche ohne Rassismus“ vorgestellt. Aus Sicherheitsgründen war zuvor eine Lesung in Halle abgesagt worden.
Leipzig. Entsetzen und Bestürzung in Leipzig und weit darüber hinaus: In der Taborkirche im Stadtteil Kleinzschocher ist es am Donnerstag vergangener Woche zu einem Übergriff eines Besuchers gekommen. Die Autorin Sarah Vecera wurde von einem Mann attackiert und musste durch die Security geschützt werden – am Ende der Lesung ihres Buches „Wie ist Jesus weiß geworden?“, das sich mit Rassismus in der Kirche beschäftigt.
Auf ihrem Instagram-Kanal drückt Sarah Vecera ihren Schock aus: „Vor allem seitdem mich Security aktiv vor einem rassistisch motivierten Angriff bei meiner Lesung in Leipzig schützen musste, schlafe ich schlecht und mache mir unendlich Gedanken“, sagt die Theologin, Religionspädagogin und Bildungsreferentin der Vereinten Evangelischen Mission (VEM).
Wegen Einladung zu Wochen gegen Rassismus in Leipzig
Sarah Vecera, 1983 in Oberhausen geboren, schreibt in ihrem Buch über strukturellen Rassismus in der Kirche – nicht um zu moralisieren, sondern um dafür zu sensibilisieren, wie sie betont. Deshalb lud Fanny Lichtenberger, Projektleiterin von „Projekt-Raum-Kirche“, sie im Rahmen der „Wochen gegen Rassismus“ zur Lesung in die Taborkirche ein. Auch sie hat das Ereignis verstört, „der Vorfall hat uns als Veranstaltende alle getroffen“.
Was genau ist passiert? „Der Abend mit Frau Vecera war sehr gelungen, es gab einen guten Dialog zwischen ihr und dem interessierten Publikum.“ Ein Besucher jedoch, der einen schwarzen Mantel, eine schwarze Mütze und eine Sonnenbrille trug, sei mehrfach wegen provokanter Fragen aufgefallen, „Frau Vecera hat darauf sehr souverän und freundlich reagiert“, so Lichtenberger.
Mann bedrängt sie am vorigen Donnerstag immer mehr
Zum Schlussapplaus habe der Unbekannte seinen Mantel ausgezogen und ein orangenes T-Shirt mit der Aufschrift „Make Germany great again“ auf der Vorderseite und „God first“ auf der Rückseite sichtbar gemacht. „Er ging mit Blumen auf Frau Vecera zu und bedrängte sie immer mehr. Dann warf er den Strauß auf den Boden.“ Laut einer Sprecherin ihres Arbeitgebers Vereinte Evangelische Mission (VEM) rief der Mann, Judas habe Jesus mit einem Kuss verraten, das wolle er ebenfalls probieren.
In diesem Moment griff die Security ein, der Mann wurde aus dem Gebäude begleitet. „Das am eigenen Leib und in einer Kirche erfahren zu haben, lässt mich erschüttert und angstvoll zurück“, sagt die Autorin. Sie fragt sich nun, ob das Buch es „wert war, mich und vielleicht meine Familie in Gefahr zu bringen, so öffentlich in Erscheinung getreten zu sein“.
Arbeitgeber der Autorin: „Übergriff kein Einzelfall“
Sarah Veceras Arbeitgeber, die Vereinte Evangelische Mission (VEM) mit Sitz in Wuppertal, äußert sich ebenfalls öffentlich: „Nicht die Menschen, die sich für eine offene und gerechte Welt einsetzen, sollten Angst haben, sondern genau die, die versuchen das Gegenteil zu erreichen!“ Der Übergriff sei kein Einzelfall. „Wir wissen und hören immer wieder Berichte von People of Colour, die nur noch mit Security an ihrer Seite öffentlich auftreten und sich oft auch im Privaten nicht mehr sicher fühlen können.“
Auf der Website der Taborkirche betonen Projektleiterin Fanny Lichtenberger und Pfarrer Sebastian Ziera: „Das, was Sarah Vecera in unserer Kirche, in unserer Gemeinde, in unserer Gesellschaft am Donnerstag Abend erleben musste, hat uns getroffen und geschockt. Wir empfinden unsagbare Wut, tiefe Trauer und auch Scham!“ Lichtenberger ist es wichtig, nun „aus der Schockstarre rauszukommen und zu sehen, wie wir uns weiter gegen Rassismus positionieren und wie wir People of Colour in der Kirche mehr Raum und Schutz geben können.“ Neben der Lesung gab es auch einen Antirassismusworkshop mit Sarah Vecera für kirchliche Mitarbeitende.
Pfarrer der Taborkirche stellt eine Anzeige gegen Unbekannt
Im Nachgang des Ereignisses erstattete Pfarrer Sebastian Ziera Anzeige gegen Unbekannt. Aktuell prüft die Staatsanwaltschaft, ob ein Straftatbestand vorliege, sagt eine Sprecherin der Polizei. „Aus der Schilderung des Vorgangs ergeben sich eher keine Anzeichen für Rassismus oder Beleidigung, möglicherweise aber für Nötigung.“
Derzeit möchte sich die Autorin nicht weiter zum Erlebten äußern, sagt VEM-Sprecherin Martina Pauly auf LVZ-Anfrage. Wie tief die Spuren sind, die das Ende des Leipziger Abends bei ihr hinterlassen haben, dokumentiert Sarah Veceras emotionale Stellungnahme auf Instagram: Sie stelle vieles in Frage, sagt sie. Die für den Tag danach angesetzte Lesung in einer auf Diversität fokussierte Buchhandlung in Halle hatte sie schon vorher abgesagt – aus Sicherheitsgründen. Eine Sprecherin der dortigen Veranstalter hatte darauf hingewiesen, dass kürzlich bei einer Veranstaltung in der Kirche viele Besucher Sympathie für „Pegida“-Positionen geäußert hätten, es habe eine aggressive Stimmung geherrscht.
Trotz allem sagt Sarah Vecera: „Ich will mich nicht von der Angst einengen lassen, ich will weiter für das Gute und Richtige einstehen.“