Rechte Kampfsportevents im Osten – „Für Jugendliche sind das Helden“

Im Osten der Republik häufen sich rechte Kampfsportevents. Die Szene ist professionell organisiert und will mit ihrem martialischen Angebot in die Mitte der Gesellschaft.

„Ostdeutschland kämpft“ ist der Name einer Kampfsportveranstaltung, die am Sonntag in der Diskothek „Sax“ bei Leipzig beginnt. Solche Veranstaltungen, „Fight-Nights“ (dt. Kampfnächte) genannt, sind schon lange keine Seltenheit mehr im Osten.

Hier treten neben anderen auch Kampfsportler an, die in der Neonaziszene aktiv sind und ihre Gesinnung offen zur Schau stellen. Veranstalter betonen gern, es würde hier nur um den Sport gehen. Doch das stellt sich als Trugschluss heraus, wenn man mit Menschen spricht, die sich mit den Hintergründen beschäftigen.

Torsten Hahnel vom Verein „Miteinander“ in Halle beobachtet die extrem rechte Szene seit mehr als zwanzig Jahren. Er erklärt im t-online-Interview, was hinter dem Aufstieg der rechten Kampfsportszene im Osten steckt, wie dort Geld verdient wird und warum sie so gefährlich für die gesamte Gesellschaft ist.

t-online: Welche Bedeutung hat die rechte Kampfsportkultur in Ostdeutschland?

Torsten Hahnel: Dieses Phänomen gibt es in ganz Ostdeutschland. Da vermischen sich verschiedene Szenen – das ist einmal die Hooliganszene um Fußballklubs, das Security-Gewerbe, teilweise auch Organisierte Kriminalität und eben die Kampfsportszene, die in Kampfsportstudios, sogenannten Gyms trainiert. Dort gibt es zumindest keine klare Abgrenzung zu extrem rechten Personen.

Woran erkennt man, dass beispielsweise bei der Veranstaltung im „Sax“ bei Leipzig rechte Akteure oder Neonazis mitwirken?

Man sieht es relativ schnell, zum Beispiel an Tattoos, die einige Kämpfer tragen. Da gibt es verschiedene Versionen des Hakenkreuzes oder die „Schwarze Sonne“, auch ein altes Nazi-Symbol. Und den Spruch „Ruhm und Ehre“. Natürlich kennt man die Leute von vielen politischen Aktionen, von Demos, von ganz offenen rechten Aussagen in sozialen Medien. Martin K. und Brian E., die beide prominent auf dem „Ostdeutschland kämpft“-Plakat abgebildet sind, wurden auch beim rechten Überfall auf Connewitz 2016 festgenommen, als 300 bis 400 Neonazis in dem als links geltenden Leipziger Stadtteil randalierten.

Welche Rolle spielt Gewalt in dieser Szene?

Gewalt ist in der neonazistischen Ideologie und im neonazistischen Alltag ein ganz zentraler Punkt. Die ganze rechte Ideologie beruht darauf, dass Gewalt zur Durchsetzung von politischen und persönlichen Zielen vollkommen legitim ist. Und es ist kein Zufall, dass genau diese Kampfsportevents in der Neonaziszene in den letzten zehn Jahren unglaublich zugenommen haben. Das passt einfach. Man könnte sagen, es ist ein „Match“: Neonazis und das Zelebrieren von Gewalt. In der Außendarstellung wird so getan, als wären das ganz normale Sportler, die einfach nur ihrem Hobby nachgehen. Doch das ist ein Trugschluss.

Warum?

Das ist eine unglaubliche Verharmlosung. Wenn der Organisator des Events sagt: „Na ja, den Spruch „Ruhm und Ehre“, das gabs ja auch früher bei den Gladiatoren“, dann ist das ein dümmlicher Versuch, davon abzulenken, was wirklich dahintersteht. Diese Männer tragen mit solchen Symbolen und Sprüchen ihre Ideologie ja ganz offen nach außen. Jemand, dem es wirklich nur um den reinen Sport gehen würde, der hätte doch ein Interesse, nicht mit solchen gewalttätigen Personen vermischt zu werden. Genau das findet aber nicht statt.

Geht es bei diesen Events und dem Kampfsport auch um Geld?

Ja, natürlich. Es gibt viel Merchandise, da werden bestimmte Marken beworben, die wiederum mit Gyms zusammenhängen. Ein bekanntes Gym aus Halle ist da ein sehr gutes Beispiel. Da wird nebenbei auch Geld mit Kleidung verdient. Die Events selber bringen natürlich auch Geld. Und es geht um Einfluss im Security-Gewerbe, damit kann man immer Geld verdienen. Das sind legale Verdienste, die, denke ich, massiv sind in diesem Bereich. Ein großer Teil der Veranstalter macht das aus kommerziellen Motiven. Und viele rechte Kampfsportler auch aus ideologischen Gründen – um Macht und Männlichkeit zu zelebrieren, das sind ja ganz zentrale Begriffe im Neonazismus. Diese Interessen treffen sich dann bei solchen Events wie „Ostdeutschland kämpft“.

Woher kommt das alles, wie hat sich diese Szene entwickelt?

Zum größten Teil liegt der Ursprung in der Fußball-Hooliganszene im Osten. Die gab es schon zu DDR-Zeiten sehr ausgeprägt. Darum geht es auch heute eigentlich immer um alte Ost-Traditionsvereine wie Lok Leipzig, Hallescher FC, Rot-Weiß Erfurt, Dynamo Dresden, die es schon in der DDR gab. Der regionale Bezug ist hier ganz wichtig.

Wie ging es dann weiter?

Dann kam der Bruch 1990 und diese Vereine sind alle ins Bodenlose abgestürzt, weil sie zum Spielball von irgendwelchen Investoren wurden. Das hat die Fanszene aber eher zusammengeschweißt. Daher kommt heutzutage übrigens auch dieser Titel: „Ostdeutschland kämpft“. Die Identifikation mit „Ostdeutschland“ ist in der Szene ganz zentral. Das hat auch mit dem Gefühl zu tun „Wir sind die Underdogs“, das sich ja auf den ganzen Osten nach der Wende übertragen lässt. In dieser Hooliganszene gab es immer extrem rechte Gruppen und immer extreme Gewalt, besonders natürlich in den Neunzigerjahren.

Wie kam der professionelle Kampfsport ins Spiel?

Das hat einfach gut gepasst, auch das professionelle Element. Es gab plötzlich Verdienstmöglichkeiten für Menschen, die mit ihrer Biografie sonst schlecht weiterkommen. Da hat sich diese Mischung etabliert aus Security-Gewerbe, Rockerszene und Kampfsport. Wir kennen das hier in Halle ziemlich gut, wie das alles zusammenhängt. Und so ein Gym zu betreiben, mit dem entsprechendem Merchandise und den Events, ist ein gutes Geschäft. Für andere wiederum hat sich die Möglichkeit eröffnet, ihre Kampffähigkeiten, die sie auf der Straße erworben haben, zu professionalisieren, damit Geld zu verdienen. Wir beobachten die Entwicklung seit vielen Jahren – und inzwischen muss man sagen, das ist ja fast schon ein normaler Karriereweg, den heutzutage auch der Nachwuchs geht. Ein Kämpfer sein, männlich und machtvoll, das wird hier professionalisiert. Das ist ein flächendeckendes Problem.

Was heißt flächendeckend?

Na, flächendeckend im Osten. Im Westen gibt es auch eine Kampfsportszene, aber die ist vor allem migrantisch geprägt.

Kennen sich die Akteure aus den verschiedenen Städten?

Ja, natürlich. Zum Beispiel das „Imperium Fight Team“ von Benjamin Brinsa in Leipzig und Wurzen hängt eng zusammen mit „La Familia“ in Halle. Aus Sicht der Szene ist es fast logisch, dass sich so eine Struktur entwickelt hat. Aber es gibt natürlich das Problem, dass von außen viel zu wenig darauf geschaut wird.

Welchen Einfluss hat diese Entwicklung auf die Jugendkultur und Jugendarbeit im Osten?

Es ist ja eine relative Tristesse gerade im ländlichen Raum, da ist nicht viel los. Die gerade beschriebenen professionalisierten Strukturen bieten sich da als Ersatz an. Darum ist deren vorgebliche Entpolitisierung auch so bedenklich: Das örtliche Kampfsportgym, in dem Neonazis offen aktiv sind, wird dann nicht als rechte Kaderschmiede gesehen, sondern als ein schönes Angebot für den schmächtigen jungen Mann: Hier kannst du was lernen, um im Leben, auf der Straße und im Kampf um den Arbeitsplatz zu bestehen.

Was für ein Menschenbild steht dahinter?

Das ist so ein wirklich sozialdarwinistisches Bild, das da der Jugend vermittelt wird: Du musst wirklich stark sein, um überleben zu können. Das fällt gerade im Osten und gerade im ländlichen Bereich, muss man so sagen, auf fruchtbaren Boden.

Welche Wirkung hat das auf junge Leute in der Region?

Bekannte Protagonisten dieser Kampfsportszene sind für Jugendliche so was wie Helden geworden. Wenn man sich einen Benjamin Brinsa, Chef des Leipziger „Imperium Fight Team“, anguckt zum Beispiel, der war vor zehn Jahren auch noch so ein schmächtiger junger Mann. Und jetzt kämpft der international, jetzt stellt er was dar, hat was zu sagen. Das wird von einigen Jugendlichen wahrgenommen wie ein richtiger Karriereweg, als könnte man jetzt über den Kampfsport internationaler Popstar werden oder so.

Welche Folgen befürchten Sie?

Oft wird nicht ernst genommen, was da für eine Sozialisierung von jungen Männern stattfindet. Man könnte auch sagen, diese Kampfsportkultur leistet Vorschub für eine Verrohung der Gesellschaft. Hier wird Gewalt zelebriert: Gewalt ist ästhetisch, Gewalt ist machbar, man kann das lernen und man stellt dann was dar, als Kämpfer. Das ist ein großes Problem, gerade in den Regionen, wo es sonst nur wenige Angebote gibt für junge Leute. Wo es auch wenig demokratische Streitkultur gibt. Wo eben nicht so klar ist, dass nicht immer der Stärkere gewinnt, sondern dass es auch Argumente gibt.

Wie schlägt diese erlernte Stärke dann in tatsächliche Kriminalität, tatsächliche Gewalttaten auf der Straße um?

Da ist der Überfall 2016 auf Connewitz ein gutes Beispiel. Ein anderes Beispiel ist das gescheiterte Identitären-Haus in Halle. Da sind genau diejenigen, die vorher diese Fähigkeiten in den Kampfsportgyms erworben hatten, mit Helmen und Baseballschlägern bewaffnet rausgelaufen, um potenzielle Gegner anzugreifen. Wenn es vor Ort keine Zivilgesellschaft gibt, die das nicht zulässt, dann bestimmen solche Leute durch eine Atmosphäre der Gewalt das öffentliche Leben zum Beispiel in einer Kleinstadt.

Wichtig ist es, Alternativen zu schaffen, gerade im ländlichen Raum. Und es braucht eine offensive Auseinandersetzung mit dem Bild von Stärke und Gewalt, das da zelebriert wird. Soll die junge Generation damit groß werden, dass sie das Recht des Stärkeren verinnerlicht? Und versucht, sich dem anzupassen? Oder werden in der Schule, in demokratischer Jugendarbeit andere Fähigkeiten starkgemacht? Das zu tun wäre die beste Gegenwehr: Die Stärkung einer demokratischen Jugendarbeit, dass gelernt wird, Widerspruch auszuhalten, dass junge Menschen lernen, sich für ihre Ideen einzusetzen, ohne dazu Gewalt oder körperliche Stärke zu nutzen. Da ist der Bildungsbereich zentral. Letztlich geht es um die Frage: In welcher Gesellschaft wollen wir leben?

Zur Person

Torsten Hahnel beobachtet und analysiert seit mehr als 20 Jahren extrem rechte Strukturen und Strategien in Sachsen-Anhalt. Er arbeitet für die Arbeitsstelle Rechtsextremismus beim „Miteinander e.V.“ in Halle.

Verwendete Quellen
  • Gespräch mit Torsten Hahnel
  • Eigene Recherchen