Leipzig-Connewitz: Trans-Aktivisten greifen Schwangere an – „Halt’s Maul, Scheiß-Terf!“
Wurde in Leipzig eine Schwangere von Trans-Aktivisten angegriffen? Was bei einer Veranstaltung im alternativen Kulturzentrum Conne Island geschah, ist umstritten. WELT liegt ein Gedächtnisprotokoll der Frau vor. Es wirft ein schockierendes Licht auf die linke Szene.
In Leipzig laufen die Drähte heiß, die linke Szene ist in Aufruhr: Am 11. Dezember 2022 kam es vor dem alternativen Kulturzentrum Conne Island zu Angriffen auf vermeintliche Transfeinde. Die frühere „Bild“-Journalistin Judith Basad berichtete in einem viel geteilten Beitrag unter der Schlagzeile „Trans-Aktivisten treten schwangere Frau“ auf dem Blog Pleiteticker. Doch zahlreiche Linke bezweifeln das Geschehen. Basad gilt ihnen als „rechts“, ihre Version wird als unglaubwürdig dargestellt. Frei nach dem Motto: Es kann nicht sein, was nicht sein darf. Und tatsächlich: Die reißerische Schlagzeile von Basad ist falsch. Die Schwangere wurde nicht getreten. Doch jene, die die Geschichte aus politischen Motiven für erfunden halten, liegen auch falsch: Die schwangere Frau wurde zwar nicht getreten, aber von Aktivisten angegriffen und bedrängt. WELT liegt ein Gedächtnisprotokoll der Angegriffenen vor, außerdem konnte WELT mit den Veranstaltern aus dem Conne Island sprechen, die sich bisher nicht öffentlich geäußert haben.
Es ist die Geschichte einer grotesken Eskalation und willkürlichen Aggression. Doch von vorn: Das Conne Island lädt für den Sonntagabend zu einer Diskussionsveranstaltung in den Leipziger Stadtteil Connewitz. „Zur neueren Pseudo-Linken“ wird die Veranstaltung mit dem kommunistischen Autor und Rechtsanwalt Jörg Finkenberger angekündigt. Unter einem ähnlichen Titel hat Finkenberger eine Reihe von Texten auf einem Blog veröffentlicht, in denen er den staatstragenden Aktivismus des rot-grünen Milieus angreift, der die herrschende Politik trägt, statt sich ihr zu widersetzen. Die woke Zivilgesellschaft verhindere die Befreiung der Unterdrückten, so seine These. Dabei rechnet Finkenberger mit einigen absurden Gepflogenheiten der linken Szene ab. Unter anderem hält er den „Pseudolinken“ vor, die grassierende Cancel Culture schlicht zu leugnen. Er nennt einige Beispiele, in denen die Szenewächter sich als Verhinderer von Debatten aufführen, unter anderem in Berlin bei einer kritischen Diskussion über Prostitution.
Unter dem Motto „Swerf- und Terf-Alarm in Kreuzberg“ wurde von Aktivistengruppen gegen die Veranstaltung mobilisiert. „Swerf“ und „Terf“ sind Abkürzungen für „Sex Worker Exclusionary“ beziehungsweise „Trans Exclusionary Radical Feminism“, also für einen angeblich Prostituierte oder Transpersonen ausschließenden radikalen Feminismus.
Böhmermanns Kampf
Die Abkürzungen „Swerf“ und „Terf“ sind allgemein bekannt geworden, seit sie Jan Böhmermann am 2. Dezember im „ZDF Magazin Royale“ verwendet hat – für Frauen wie Alice Schwarzer und die Berliner Biologin Marie-Luise Vollbrecht. Böhmermann verglich „Terfs“ mit Scheißhaufen und benutzte „Terf“ dabei de facto synonym mit Nazi – und zeigte, dass der Sinn dieser Kampfvokabeln in der Feindmarkierung steckt. Die zudem auf Frauen gemünzt ist, die sich für Frauenrechte einsetzen und sich dafür von Männern vor Millionenpublikum als Scheiße bezeichnen lassen müssen. Dass sich nun Böhmermann als oberster Richter darüber aufspielt, welcher Feminismus politisch korrekt ist und welcher unter Naziverdacht steht, dürfte kaum als feministisch durchgehen.
Zurück nach Leipzig: Das Beispiel der Veranstaltung in Berlin-Kreuzberg, an dem der Referent verdeutlichen wollte, wie die linke Szene tickt und ihre Wut auf vermeintlich unkorrekte Diskussionsbeiträge lenkt, schlägt prompt auf ihn zurück. In der Woche vor der Veranstaltung wird ihm öffentlich Transfeindlichkeit vorgeworfen, er mache angeblich gemeinsame Sache mit „Terfs“ und „Swerfs“. In Chatgruppen und auf Twitter brodelt es. Doch die Vorwürfe werden nicht inhaltlich überprüft. Weil Finkenberger die Cancel Culture an einer prostitutionskritischen Veranstaltung verdeutlicht, trifft ihn die volle Wucht der Kontaktschuld. Dass es in dem Vortrag nicht um Trans, Gender oder Geschlecht gehen wird, ist inzwischen völlig nebensächlich.
Die Sache zieht weitere Kreise. Als Marie-Luise Vollbrecht angekündigt, als Gast zu der Veranstaltung zu kommen, dreht der Twitter-Mob voll auf. Kein Wunder, spätestens seit der Böhmermann-Sendung gilt sie als Nazi. Gewaltfantasien werden ausgetauscht, das Conne Island wird als „Nazi-Schuppen“ bezeichnet, die Screenshots liegen WELT vor. In verschiedenen Chatgruppen beschwört die Leipziger Szene in der Diktion Böhmermanns das Szenario einer finalen Verteidigungsschlacht gegen die einfallenden Terf- und Swerf-, also Nazitruppen. In Leipzig sei „gefühlt täglich Reichsparteitag“, heißt es in einem Tweet, der inzwischen gelöscht ist; ein Screenshot liegt WELT vor. WELT liegen außerdem Fotos vor, die Graffiti wie „Terfs treten!“ und „Fuck Terfs, Swerfs & CI“ zeigen, die vor der Veranstaltung auftauchten. CI steht für Conne Island. Für den Abend der Veranstaltung wird vor dem Conne Island eine Kundgebung angemeldet – gegen Transfeindlichkeit. Es mobilisieren queere Gruppen, Trotzkisten und eine Abspaltung der Linksjugend. Die Ankündigung, in der das Conne Island und der Referent in die rechte Ecke gestellt werden, ist so wirr und frei fantasiert, dass sich die Veranstalter auf Twitter bemühen, die Wogen zu glätten. Sie wenden sich gegen „Fehlinformationen und Unterstellungen“, rufen aber auch dazu auf, die Kundgebung unbehelligt zu lassen. Dass es wenig helfen wird, ahnen sie schon, es wird ein Sicherheitskonzept für den Abend erarbeitet. Doch das gilt nur für die Räume des Conne Island. Eine schwangere Frau wird umringt Trotz der irren Kampagne kommen an dem Abend nach Veranstalterinformationen über 120 Gäste. Doch bereits auf dem Weg zur Veranstaltung müssen sie an der vor dem Gelände des Conne Island postierten Kundgebung vorbei. Dabei werden sie von Vermummten beschimpft, bedroht, bedrängt, gestoßen und mit Schneebällen beworfen.
Es soll vor allem einzelne Frauen betreffen, die aus der Gruppe heraus angegriffen werden. Die Aggression rechtfertigt sich durch den bloßen Verdacht, diese Frauen seien transfeindlich. Diskutieren muss man nicht mehr, wenn der Veranstaltungsort, der Referent und alle Besucher zu Transfeinden erklärt werden.
„Die Linke hat heute kein Gefühl für die Wichtigkeit der freien Rede.“
Das sagt der Referent, der Abend bestätigt seine These. Beim Vortrag selbst, ein Mitschnitt von Finkenbergers Brandrede gegen die „Pseudolinke“ liegt WELT ebenfalls vor, kommt es keineswegs zu „transfeindlichen“ Äußerungen. Es ist hingegen eine scharfe Kritik an gegenaufklärerischen Entwicklungen. Finkenberger sagt an dem Abend auch, dass es einer Linken nicht egal sein dürfe, wenn es zu Rufmordkampagnen wie beispielsweise gegen die HU-Dozentin Vollbrecht kommt, ohne sich deren inhaltliche Position zu eigen zu machen.
Während im Conne Island rege diskutiert wird, harrt der Trupp der Kundgebung davor aus, um Gäste, welche die Veranstaltung vor ihrem Ende verlassen, wieder zu drangsalieren. Was dann folgt, ist – wie eingangs geschildert – inzwischen zum Gegenstand harter Kontroversen geworden: Eine im sechsten Monat schwangere Frau wird umringt, gestoßen und beschimpft; ihr Begleiter bekommt einen vereisten Schneeball ins Gesicht geworfen, er wird ebenfalls umringt und bedrängt. Die Angreifer lassen auch dann nicht ab, als die schwangere Frau mehrfach auf ihren Zustand aufmerksam macht und bittet, in Ruhe gelassen zu werden. Im Gegenteil: Ihr wird noch Zigarettenrauch ins Gesicht geblasen, es werden Schlagbewegungen in ihre Richtung gemacht. „Halt dein Maul, du Scheiß-Terf!“, wird ihr zugerufen. So steht es in dem Gedächtnisprotokoll, das WELT vorliegt. Es ist der unrühmliche Tiefpunkt der selbsterklärten Aktivisten gegen Transfeindlichkeit. Als die Berichte über Angriffe zu den Veranstaltern durchdringen, wird die Veranstaltung beendet und das Publikum gewarnt. Auch Vollbrecht verlässt das Conne Island, dabei erfolgen versuchte Angriffe, wie sie später auf Twitter sagt:
Frau Marie @Frollein_VogelV·Ich wurde geschubst und hab einen Ellenbogen in die Rippen bekommen (beim Reingehen) inklusive „schäm dich“ Rufe. Abeim Verlassen haben mich 20 Menschen in die Mitte genommen. Mir geht es gut, die Situation war aber max bedrohlich 9:16 PM · Dec 11, 2022
Dann kommt es zu einer Rangelei zwischen zwei Gästen und Teilnehmern der Kundgebung, wobei einer der beiden mit Reizgas angegriffen wird; auch das wird auf Twitter als übertrieben oder gelogen bezeichnet, allerdings von den Veranstaltern gegenüber WELT bestätigt. Danach verschwinden die Angreifer. Die Veranstalter bleiben befremdet zurück. Der Abend zeigt, zu welcher Enthemmung der willkürlich erhobene Vorwurf der Transfeindlichkeit bereits führt.
In Leipzig lassen sich die Konflikte in der Linken wie im Brennglas beobachten. So wurde im Oktober eine Lesung des „Konspirationistischen Manifests“ in Connewitz zu verhindern versucht, weil Kritik an Coronamaßnahmen in der dortigen linken Szene als undiskutierbar und faschistisch gilt. An der Uni Leipzig kam es zur gleichen Zeit zu Protesten gegen ein philosophisches Seminar, weil auf der Lektüreliste das Buch „Natur und Gender. Kritik eines Machbarkeitswahns“ von Christoph Türcke aufgeführt war. Das Buch, eine kritische Theorie der Gegenwart, wurde als transfeindlich abqualifiziert. Die Leipziger Ereignisse vom Wochenende zeigen, dass die Böhmermann-Linke im Kampf gegen das vermeintlich absolut Böse der Transfeindlichkeit mit den Mitteln der Gegenaufklärung agiert. Der Angriff auf eine schwangere Frau und ihren Begleiter kann nicht als „Terf-Lügen“ oder „rechtes“ Narrativ abgetan werden. Nun wird es darauf ankommen, ob sich die Kräfte der Kritik und Selbstkritik in der Linken durchsetzen und der Pseudolinken Einhalt gebieten können.