Und wieder brennen die Flüchtlingsheime

In Orten wie Einsiedel und Bautzen waren die Proteste gegen Flüchtlingsheime schon 2015 und 2016 besonders groß. Jetzt mobilisieren rechtsextreme Gruppen erneut. Und zwei Unterkünfte haben bereits wieder gebrannt. Wie viel Gewalt ist noch zu befürchten?

Wo Menschen wütend sind, da sind die Freien Sachsen nicht weit. Ihre Transparente fehlen bei kaum einer der viele Montagsdemonstrationen im Freistaat – und mittwochs bauen Anhänger und Anhängerinnen der rechtsextremen Gruppierung in Einsiedel jetzt immer ihren Pavillon auf, verteilen ihre Fähnchen an jene, die die „Schnauze voll haben“. Mal sind es 100, mal 150, die mittlerweile regelmäßig in dem Chemnitzer Vorort demonstrieren, weil wieder Geflüchtete nach Einsiedel kommen sollen. Vor ein paar Monaten sind erst die Ukrainer und Ukrainerinnen aus dem ehemaligen Pionierlager ausgezogen – jetzt sollen dort Syrer und Syrerinnen und Afghanen und Afghaninnen unterkommen. „Wir haben selbst genug Probleme, laden aber noch die ganze Welt ein“, sagt eine Demonstrantin.

Einige hier waren schon im Herbst 2015 auf der Straße und demonstrierten gegen die Unterbringung von Geflüchteten. Zu den so genannten „Schweigemärschen“ kamen damals Hunderte Menschen aus der ganzen Region. Die Freien Sachsen gab es noch nicht, dafür feuerte Pegida die Stimmung immer weiter an. Und so blieb es in Einsiedel nicht beim Protest. Demonstranten und Demonstrantinnen versuchten, die Zufahrt der Unterkunft zu blockieren. Dann flogen Molotowcocktails über den Zaun.

Es brodelt wieder im Land

In Einsiedel kann die Stimmung schnell umschlagen, auch jetzt wieder. Und wer sich unter den Menschen umhört, die im Dunkeln durch die Straßen ziehen, spürt einen gewissen Stolz über diese Unberechenbarkeit. „Die haben Schiss vor uns. Das ist auch richtig so“, sagt ein Rentner.

Es brodelt wieder im Land – Pandemiefolgen, Krieg, Inflation, Energiekrise, Existenzängste, die Themen verbinden sich. Der Zeitpunkt ist gefährlich. Weil die russische Armee derzeit gezielt die Infrastruktur für die Energieversorgung zerstört, könnten in den kommenden Wochen wieder verstärkt Geflüchtete aus der Ukraine nach Deutschland kommen. Gleichzeitig steigt auch wieder die Zahl von Asylsuchenden, die über Drittstaaten einreisen. Eine schwierige Gemengelage, die vor allem Politiker innen und Politiker der AfD und rechtsextreme Gruppierungen für sich nutzen.

Nun kommen am Freitag die Innenminister von Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt, Sachsen und Brandenburg zu einem Krisentreffen nach Erfurt. Thüringens Innenminister Georg Maier (SPD) hatte die Einladung bereits Mitte Oktober ausgesprochen. Da standen vor allem die Proteste wegen steigender Energiepreise und der Katastrophenschutz auf seiner Liste.

Brandanschlag in Bautzen – zum zweiten Mal

Doch mittlerweile brennen nicht mehr die Wälder wie im Sommer – sondern Flüchtlingsheime.

Das Spreehotel liegt wenige Kilometer von Bautzen entfernt, mitten im Grünen. Zur Talsperre sind es nur wenige Gehminuten. Eine Idylle, die vergangenen Freitag gestört wurde – kurz nach 5 Uhr schlugen Unbekannte mehrere Fenster ein, warfen Brandsätze. Das Gebäude wird schon lange nicht mehr als Hotel genutzt. Der Eigentümer hat es dem Landkreis als Unterkunft für Geflüchtete überlassen. In diesen Tagen sollten die ersten 30 von insgesamt 200 Menschen einziehen, vor allem Syrer und Syrerinnen und Afghanen und Afghaninnen. In der Tatnacht schliefen vier Mitarbeitende im Spreehotel, die das Haus entsprechend vorbereiten sollten. Sie waren es, die die Feuerwehr riefen.

Einen Tag nach dem Brandanschlag steht ein einigermaßen erschütterter Innenminister im Schatten des Spreehotels und erklärt Journalisten und Journalistinnen, dass es sich hier um keine spontane Zündelei handelt. „Diese Tat hatte das Ziel, dieses Gebäude in Schutt und Asche zu legen“, sagt Armin Schuster (CDU). Das deckt sich auch mit der Einschätzung der Polizei, die derzeit wegen schwerer Brandstiftung ermittelt.

Schuster wird an diesem Tag von Kriminaltechnikern und -technikerinnen und dem Staatsschutzchef persönlich über das Gelände geführt. Sie zeigen ihm das Stück Metallzaun, das die Täter oder Täterinnen hinter dem Haus herausgehebelt haben. An einer Stelle, die durch Bäume gut geschützt und nachts unbeleuchtet ist. Die Brandstifter kannten sich gut aus. Das Sicherheitsglas der Fenster lässt sich nur mit starker Wucht zerschlagen. Die Täter oder Täterinnen verschwanden nicht über die Straße, sondern durch den Wald Richtung Talsperre.

Auf dem Gelände des Spreehotels landeten schon 2016 Brandsätze

Trotz der offensichtlichen Ortskenntnis der Täter oder Täterinnen ist Bautzens Landrat Udo Witschas (CDU) überzeugt: Das waren keine von uns. Er könne sich schlicht nicht vorstellen, dass diese Verbrecher und Verbrecherinnen aus der Heimat sein sollen. „Das ist für mich unfassbar.“ Es klingt, als käme der Brandanschlag aus dem Nichts, als hätte ihn die politische Lage vor Ort nicht auch begünstigt.

Als klar war, dass Bautzen künftig nicht nur Geflüchtete aus der Ukraine aufnehmen muss, lud die Stadt zu Bürgerversammlungen ein. Mitte Oktober traf man sich direkt im Spreehotel. Kaum jemand hatte Fragen zu der Versorgung der Menschen oder zum Sicherheitskonzept des Hauses. Mehr als zwei Stunden stritten sie über die allgemeine politische Lage, den Krieg in der Ukraine, die Energiepolitik der Bundesregierung. Draußen stand die AfD mit Plakaten. Auf denen stand: „Unser Land zuerst.“ Kurz darauf brannte es.

Und zwar nicht zum ersten Mal. Auf dem Gelände des Spreehotels landeten schon 2016 Brandsätze. In der Corona-Pandemie wurde Bautzen zur Widerstandshochburg. Schon kurz nach Kriegsbeginn tauchten bei den Montagsdemonstrationen erste Russland-Flaggen auf. Vor ein paar Monaten feierten sie hier den Auftritt des Verschwörungsideologen Ken Jebsen.

Rechtsextreme und russische Staatsmedien heizen Stimmung an

Für die Strategen und Strateginnen der extremen Rechten kommt das Wiedererstarken flüchtlingsfeindlicher Stimmungen wie gerufen – und wird von ihnen aktiv befeuert.

In rechten „Alternativmedien“ und in sozialen Medien werden die Protestthemen miteinander verbunden: Deutsche Rentnerinnen und Rentner und Geringverdienende hätten unter steigenden Preisen zu leiden, während der Staat sich um die Geflüchteten gut kümmere. Diese Konkurrenzerzählung ist keineswegs neu, doch gewinnt sie angesichts der aktuellen Krise deutlich an Brisanz.

Auch in deutschsprachigen Kanälen russischer Staatsmedien werden besonders Geflüchtete aus der Ukraine scharf angegriffen. Schon seit mehreren Monaten bemühen die Kremlmedien Einzelfälle ukrainischer Geflüchteter, um die Schutzsuchenden als gierig und undankbar darzustellen. Während russische Drohnen und Raketen in der Ukraine für Tod und Verwüstung sorgen, verbreiten russische Staatsmedien Aussagen europäischer Rechtspopulisten, nach denen große Teile der Ukraine sichere Gebiete ohne Kriegshandlungen und die nach Deutschland kommenden Geflüchteten dementsprechend bloß „Sozialschmarotzer“ seien.

Passend dazu forderte der AfD-Sozialpolitiker René Springer am Donnerstag, dass auch Ukrainerinnen und Ukrainer künftig kein Hartz IV, sondern allein Sachleistungen ausbezahlt bekommen sollten, um einen „Pullfaktor zu eliminieren“.

„Ich möchte nicht alarmistisch klingen, aber ich befürchte, dass die Behörden zum Teil die Gefahr unterschätzen“, sagt Daniel Trepsdorf, Leiter des Regionalzentrums für demokratische Kultur Westmecklenburg und Kommunalpolitiker der Linken. „Der Kipppunkt ist vielerorts bereits erreicht. In der Zivilgesellschaft, gerade im ländlichen Ostdeutschland, ist die Distanz zur Politik weiter gewachsen und das Vertrauen in ihre Problemlösungskompetenz in den zurückliegenden Krisenjahren innerhalb bestimmter Bevölkerungsmilieus gesunken.“

Auch an der mecklenburgischen Ostseeküste hat bereits ein Heim für Geflüchtete gebrannt. Das Schäfer Eck in Groß Strömkendorf, ein wuchtiges Reetdachhaus und früheres Hotel, stand in der Nacht zum 20. Oktober in Flammen. 14 Geflüchtete aus der Ukraine und drei Mitarbeitende konnten rechtzeitig den Flammen entkommen. Die Unterkunft wird vom Deutschen Roten Kreuz betrieben. Dessen Logo war kurz vor dem Brand mit schwarzen Strichen zu einem Hakenkreuz verunstaltet worden.

Auch zwei Wochen später lässt das Gutachten über die Brandursache noch auf sich warten. Die Einwohnenden von Groß Strömkendorf wehren sich dagegen, als „Dorf der Schande“ hingestellt zu werden. Schließlich hatten sie den Ukrainern und Ukrainerinnen im Schäfer Eck enorme Hilfsbereitschaft entgegengebracht.

Politikerinnen wie Bundesinnenministerin Nancy Faeser und Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (beide SPD) besuchten sofort den Brandort, am Mittwochabend spielte das Landespolizeiorchester ein Benefizkonzert in Wismar. Die Solidarität bleibt. Aber die Unsicherheit wächst.

Opferberatungsstellen sind alarmiert

Alarmiert sind die Beratungsstellen für Opfer rechtsextremer und rassistischer Gewalt. Deren Dachverband lud am Donnerstag Medienvertretende zu einer Onlinepressekonferenz ein. „Wir erleben seit einigen Wochen insbesondere in Ostdeutschland einen besorgniserregenden Anstieg von rassistischer Gewalt, Anschlägen und Angriffen“, sagte Franz Zobel von der Thüringer Opferberatungsstelle Ezra.

Es drohe „eine Eskalation rassistischer Gewalt und Anschläge, wie in den Jahren 2015 und 2016, in denen aufgrund der massiven rassistischen Mobilisierung täglich mindestens vier bis fünf Menschen in Ostdeutschland und Berlin Opfer eines rechten Angriffs geworden sind“, warnte Zobel.

In Leinefelde im Eichsfeld reichte ein in hetzerischem Ton gehaltener Brief, eine geplante Flüchtlingsunterkunft zu verhindern. Landrat Werner Henning zog den Mietvertrag für eine beheizbare Halle zurück, die dem lokalen Unternehmer Christian Hunold gehört. Dessen Name und Telefonnummer war in dem Brief genannt worden, ebenso die Kontaktdaten eines Landkreismitarbeiters.

„Ich wollte nie ein Flüchtlingsheimbetreiber werden“, sagt der Geschäftsführer der Ladenbau Hunold GmbH. „Aber ich halte es für unsere Pflicht als noch wohlhabendes Land, Menschen, die in Not geraten durch einen Krieg, Unterschlupf zu bieten. Und ich konnte nun einmal diese beheizbare Halle zur Verfügung stellen.“

Erfolgreiche Drohungen

Er habe sich sehr gut vorbereitet, sagt der Unternehmer. „Wir hatten ein ausgeklügeltes Sicherheitskonzept, wir haben uns mit der Ausländerbehörde abgestimmt, hätten zusätzliche Deutschkurse anbieten können und uns auch darum gekümmert, dass die Leute in Lohn und Brot kommen.“ Schließlich suchten die Unternehmen in der Region alle Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen. „Es hätte die Chance sein können, als Region zu zeigen, dass wir es schaffen. Es wäre auch eine Möglichkeit gewesen, Vorwürfe zu überprüfen – gibt es ‚Sozialtourismus‘, gibt es ein Ausnutzen der Hilfsbereitschaft – oder nicht?“

Dass der Landrat nach dem „Hetzbrief“ die Notbremse gezogen hat, versteht Hunold dennoch. Für seine Halle sucht er jetzt neue Mieter und Mieterinnen. Vom Treffen der Ostinnenminister erwartet er kaum etwas. Die Probleme kämen schließlich aus Berlin, sagt er.

„Im Eichsfeld wird niemand ein Flüchtlingsheim anzünden, so ticken die Leute hier nicht“, glaubt der in der Region verwurzelte Unternehmer. „Wir sind auch nicht alle Rechtspopulisten. Aber die Menschen, besonders im Osten, wehren sich immer stärker gegen eine Politik, die von oben herab entscheidet. Und inzwischen lehnen sie sich gegen den Staat als Ganzes auf.“

In Bautzen wird der Brandanschlag den Einzug von Geflüchteten nicht verhindern, nur verzögern. Landratsamt und Landeskriminalamt erarbeiten gemeinsam ein neues Sicherheitskonzept. Innenminister Schuster kündigte an, auch bei anderen Flüchtlingsunterkünften nachbessern zu wollen. „Niemand sollte auf die Idee kommen, dass uns solche Taten animieren könnten, das Unterbringungskonzept infrage zu stellen“, sagt er. Es ist das Versprechen, nicht einzuknicken.