Leipziger Studie: Weniger Rechtsextremismus, aber mehr Vorurteile gegen Migranten und Frauen
Die am Mittwoch vorgestellte neue Leipziger Autoritarismusstudie hält überraschende und widersprüchlich wirkende Erkenntnisse bereit. Die Deutschen sind zufriedener mit der demokratischen Verfassung und immer weniger Menschen haben ein geschlossenes rechtsextremes Weltbild. Doch gleichzeitig nehmen in Ostdeutschland Ressentiments massiv zu.
Auf den ersten Blick wirken die Ergebnisse der neuen Leipziger Autoritarismusstudie wie eine Erleichterung in Krisenzeiten. Doch dann folgt bei der Pressekonferenz zur Vorstellung der Studie in Berlin am Mittwoch schnell ein Aber – und das hat es in sich.
Die seit 2002 in diesem Jahr zum elften Mal durchgeführte Studie kommt zu dem Schluss, dass die Deutschen zufriedener mit der demokratischen Verfassung des Landes sind als zuvor, rechtsextreme Einstellungen außerdem abnehmen. Mehr als 90 Prozent seien mit der Demokratie zufrieden, so wie sie im Grundgesetz festgelegt ist, erklärt Professor Elmar Brähler, einer der Autoren der Studie der Universität Leipzig. Seit 2006, als er zum ersten Mal erhoben wurde, ist dieser Wert kontinuierlich angestiegen. In Ostdeutschland sank er zwar im Jahr 2020 kurzzeitig deutlich ab – stieg zuletzt aber umso stärker an. Auch die Verschwörungsmentalität in Deutschland ging der Studie zufolge seit 2020 sehr deutlich zurück.
In Zeiten multipler Krisen – und regelmäßiger teils demokratiefeindlich geprägter Proteste gegen Bundes- und Landesregierungen – sind das durchaus überraschende Befunde. Doch die Zufriedenheit mit der demokratischen Verfassung, das zeigt die Studie deutlich, geht nicht automatisch mit einer Zufriedenheit mit der Alltagsdemokratie einher. Mit der „Demokratie, wie sie in der Bundesrepublik Deutschland funktioniert“, sind demnach weniger als 58 Prozent der Befragten zufrieden. Im Westen ist die Zufriedenheit etwas höher als im Osten. Dazu kommt ein bundesweit, vor allem aber in Ostdeutschland stark ausgeprägtes Gefühl der politischen Wirkungslosigkeit. Dort stimmten mehr als 80 Prozent der Aussage zu, dass „Leute wie ich keinen Einfluss auf das Regierungsgeschehen haben“. In Westdeutschland waren es dagegen rund 73 Prozent.
Weniger Menschen mit geschlossen rechtsextremem Weltbild
Stark abgenommen hat der Studie zufolge in Ost- und Westdeutschland der Anteil von Menschen mit einer manifest geschlossenen rechtsextremen Weltsicht, in der sich etwa nationalsozialistische Ideologie und Diktaturbefürwortung widerspiegeln. Besonders stark ist der Rückgang dabei in Ostdeutschland: Während die Forscherinnen und Forscher dort im Jahr 2020 noch bei 9,5 Prozent der Befragten ein geschlossenes rechtsextremes Weltbild erkannten, waren es in diesem Jahr nur noch gut 2 Prozent.
Ressentiments gegen einzelne Gruppen in der Gesellschaft haben dagegen besonders im Osten seit 2020 teilweise deutlich zugenommen. So etwa die Zustimmung zu muslimfeindlichen Aussagen oder diskriminierenden Aussagen über Sinti und Roma. In Ostdeutschland stimmten mehr als 61 Prozent der Befragten der Aussage zu, Sinti und Roma neigten zur Kriminalität. In Westdeutschland waren es fast 40 Prozent. Ähnliche Entwicklungen erkennt die Studie auch bei antisemitischen oder antifeministischen Aussagen.
Rechtsextreme finden Anschluss an die Mitte der Gesellschaft
„Der gleichzeitige Anstieg des Antifeminismus, von Schuldabwehrantisemitismus und auch des Hasses auf Muslime, Sinti und Roma zeigt eine Verschiebung der Motive antidemokratischer Einstellung an, nicht eine Stärkung der Demokratie“, resümiert der Studienleiter Professor Oliver Decker. Neben der Ausländerfeindlichkeit hätten Rechtsextreme heute viel mehr Möglichkeiten, in der Mitte der Gesellschaft Anschluss zu finden.
Die Studie stellt auch eine starke Polarisierung der deutschen Gesellschaft insbesondere bei Themen wie der Corona-Pandemie oder der Reaktion auf den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine fest.
Für die zweijährlich stattfindende repräsentative Langzeitstudie zur Erhebung autoritärer und rechtsextremer Einstellungen in Deutschland wurden von Anfang März bis Ende Mai 2022 2522 Personen befragt.