Für informationelle Selbstbestimmung
Für informationelle Selbstbestimmung!
Für ein Foto- und Videoverbot in linken Räumen!
Gegen jede Überwachungsgesellschaft!
von Donna Crawallio
Wir leben in einer globalen Informationsgesellschaft, in der insbesondere digitale Informationen verwertet – also gesammelt, aufbereitet und verkauft werden. Das digitale Abbild der Menschen im Internet ist dabei zur wichtigsten Information und damit längst zur Ware in der kapitalistischen Verwertungslogistik geworden. Unsere Daten sind die Währung der Internetgesellschaft [1]. Viele Menschen kooperieren freiwillig mit diesem System, da es für sie beispielsweise komfortabel ist Filme bei netflix zu streamen, Musik über spotify zu hören, Nachrichten im Internet zu checken, über SocialMedia zu kommunizieren, Nachrichten über whatsapp zu schreiben, Kleidung bei Amazon zu bestellen, Lebensmittel über gorillas zu kaufen, Geld per PayPal zu überweisen, von google maps sich navigieren zu lassen und so weiter. Bei all diesen und den meisten anderen Online-Tätigkeiten fallen Daten an, die von den Unternehmen gesammelt, ausgewertet, verknüpft und meist verkauft werden. Ein Beispiel wie das Internet durch Unternehmen mit Profitorientierung durchsetzt ist, ist Google. So wird allein das Tool „Google Analytics“ von geschätzt 50 – 80 % aller Websites verwendet[2], d.h. in der Regel gibt jede Person im Internets immer bewußt oder unbewußt Daten an Google weiter und füttert damit die Datensammelung von google[3]. Im Jahr 2018 hat die Marktkapitalisierung von Alphabet (mit Tochterunternehmen Google) mit 840 Milliarden US-Dollar das Bruttoinlandsprodukt der Schweiz um 100 Millarden übertroffen. Mittlerweile sind, auch bedingt durch die Pandemie, die Umsätze noch weiter gestiegen.
Im Internet wird also viel Geld mit Informationen verdient, so weit so normal im Kapitalismus. Problematisch ist es vor allem, dass die Menschen eben nicht nur für mehr Komfort ihre Daten verkaufen und dann Werbung ertragen müssen, sondern dass sich durch die großen Techunternehmen digitale Ökosysteme herausbilden. Diese digitalen Ökosysteme haben auch neue Macht- und Kontrollmechanismen mitgebracht, die die Menschen langfristig in ihren Entscheidungsfreiheiten beschränken können. So führt der Handel mit Informationen über Menschen zu einer neuen digitalen Wirtschaftsordnung, in der Plattformen als „Mittelsmänner“ („Intermediäre“) Angebot und Nachfrage am Markt zusammenführen. Sie kontrollieren den Zugang zu Gütern und die Prozesse des jeweiligen Geschäftsmodells. Sie werden somit so einem Machtinstrument ohne demokratische Legitimierung oder gesellschaftlicher Kontrolle[4]. Nicht nur Plattformen (bspw. youtube, twitter) bilden digitale Machtstrukturen aus, sondern zum Beispiel auch die intransparenten Algorithmen innerhalb von sozialen Medien. Diese können z.B. rassistische Ressentiments stärken [5] und für die strategische Beeinflussung von Wahlen ausgenutzt werden[6]. In vielen Bereichen hat sich somit bereits ein Überwachungskapitalismus entwickelt[7], der auf der Basis einer freiwilligen Abgabe von persönlichen Informationen funktioniert. Dies betrifft auch Menschen, die nicht direkt soziale Medien nutzen, da die Konzerne auch Daten von „Nicht-Nutzern“ sammeln[8].
Neben den Entwicklungen zur sozialen Kontrolle auf Basis von Internetdaten werden auch direkte gesellschaftliche Überwachungsinstrumente zunehmend etabliert. So versuchen mittlerweile auch staatliche Institutionen den bestehenden und wachsenden Informationsschatz im Internet immer stärker für Überwachungs- sowie Repressionsmaßnahmen zu nutzen. Deutsche Sicherheitsbehörden werten systematisch Fotos und Videos aus dem Internet mit Hilfe von Super-Recogniser oder automatisierter Massenauswertung durch Software aus [9]. Auch äußerst fragwürdige Software, wie die von Palantir kommt zum Einsatz, die eine „vorbeugende“ Bekämpfung von Straftaten ermöglichen soll [10]. Den autoritären Peter Thiel freut es und so fließt wahrscheinlich indirekt der ein oder andere deutsche (Steuermittel-) Euro in den Aufbau rechtspopulistischer Strukturen in den USA[11]. In Deutschland sollen diese Instrumente vornehmlich bei schweren Straftaten genutzt werden, wobei die deutsche Polizei schon oft viel Kreativität bei der Konstruktion schwerer Straftaten (gerade im linken Milieu) bewiesen hat (siehe z.B. Antifa Ost-Prozess). Derzeit müssen sicherlich die wenigsten Menschen eine unmittelbare Überwachung von staatlichen Behörden befürchten, doch die gesetzlichen Rahmenbedingungen können sich künftig auch ändern (siehe Ausbau der polizeilichen Befugnisse im Rahmen der letzten Novellierung der Polizeigesetze) und Daten im Internet lassen sich nun mal nicht löschen[12]. Darüber hinaus entwickeln die großen Techunternehmen verschiedene Möglichkeiten die Daten aus dem Internet für militärische Zwecke anwendbar zu machen.
Die persönlichen Auswirkungen der Verwendung von Daten durch Techunternehmen bzw. staatlichen Institutionen hinsichtlich der kapitalistischen Verwertung, sozialer Kontrolle (undemokratischen Machtstrukturen) und den Überwachungsinstrumenten sind bisher nur punktuell erlebbar. Inwiefern breite gesellschaftliche Konsequenzen für die Zukunft folgen ist nur schwer abschätzen und hängt meist vom politischen Willen der Regierenden bzw. von Wirtschaftsakteuren ab. Eine mögliche Entwicklung zeigt die Situation der Uiguren in China [13]. Die Gesellschaft bzw. jeder Mensch muss sich diesen Prozessen aber nicht schicksalhaft fügen, sondern es gibt einen Handlungsspielraum, in dem die Menschen eigenverantwortlich handeln und die Entwicklungen beeinflussen können. Wir können unsere Daten schützen und die Möglichkeiten zur digitalen Selbstverteidigung nutzen [14].
So haben die Menschen derzeit überwiegend noch eine gute Kontrolle darüber, was an persönlichen Daten an Techunternehmen geht bzw. im Internet landet. Eine wesentliche Ausnahme sind Fotos und Video, die im öffentlichen Raum aufgenommen werden. Fast täglich begegnet Mensch anderen Menschen, die im öffentlichen Raum Fotos oder Videos machen und dabei auch fremde Personen mit aufnehmen. Dieser kollaterale Schaden passiert meist automatisch und bleibt oft unreflektiert von den Betroffenen und den „Tätern“. Auch in linken (Frei-) Räumen wird selbstverständlich gefilmt und fotografiert, um dann Bilder und Videos auf youtube, in sozialen Netzwerken oder per Messanger zu verteilen. So können seit mehreren Jahren viele Gesichter von Besuchenden in unzähligem Konzertvideo aus dem Conne Island, dem Zoro und anderen Leipziger Projekten im Internet gefunden werden. Damit verdient der Portalkapitalismus. Die abgebildeten Menschen und die dazugehörigen Informationen werden verwertet bzw. stehen den Macht- und Kontrollinstitutionen zur Verfügung.
Wer über seine eigenen Daten selbst bestimmen will und sich vor Verwertung und Kontrolle schützen will [15], ist heutzutage meist auf den Respekt und die Rücksicht von anderen Menschen angewiesen, denn sobald im öffentlichen Raum gefilmt bzw. fotografiert wird, ist die Vereinnahmung von anderen Personen nicht zu verhindern. Die negativen Auswirkungen [16] der Digitalisierung sind aber den meisten Menschen nicht bewusst und so kann nicht auf den Respekt und die Rücksicht gehofft werden. Vielmehr müssen gesellschaftliche Vereinbarungen her, die das Recht auf digitale Selbstbestimmung schützen. Wenn linke Räume wirklich Freiräume sein wollen, in denen alle Menschen sich sicher und unbeobachtet, abseits der kapitalistischen und diskriminierenden Realität (so gut es eben geht), bewegen können sollen, dann ist ein generelles Foto- und Videoverbot sinnvoll. Wir brauchen eine Abgrenzung zum digitalen Überwachungskapitalismus. Wir brauchen ein Foto- und Videoverbot bei allen Veranstaltungen in linken Kulturorten bzw. Projekten [17]. Ein gutes Vorbild kann daher die „No Photo Policy“ des IFZ in Leipzig zum Schutz der Privatsphäre sein [18]. Dort werden am Eingang von allen Besuchenden die Handykameras mit einem kleinen Aufkleber abgeklebt und somit bereits am Eingang ganz persönlich und grundsätzlich das Foto- und Videoverbot etabliert.
[1] https://www.die-tagespost.de/kultur/kann-ich-bitte-mit-meinen-daten-zahlen-art-217623[2] https://de.wikipedia.org/wiki/Google_Analytics
[3] https://de.wikipedia.org/wiki/Kritik_an_der_Google_LLC
[4] Plattformkapitalismus: https://de.wikipedia.org/wiki/Plattformkapitalismus
[5] https://www.amnesty.de/informieren/amnesty-journal/algorithmen-diskriminierung-rassismus
[6] https://de.wikipedia.org/wiki/Cambridge_Analytica oder https://www.forschung-und-lehre.de/forschung/welchen-einfluss-haben-soziale-medien-auf-die-us-wahl-3219
[7] https://de.wikipedia.org/wiki/%C3%9Cberwachungskapitalismus
[8] https://netzpolitik.org/2018/ob-nutzer-oder-nicht-facebook-legt-schattenprofile-ueber-alle-an/
[9] https://netzpolitik.org/2021/gesichtserkennung-polizei-verdoppelt-zahl-identifizierter-personen-jaehrlich/ oder https://www.mdr.de/wissen/gesichtserkennung-test-polizei-sucht-superrecogniser100.html
[10] https://de.wikipedia.org/wiki/Palantir_Technologies
[11] https://de.wikipedia.org/wiki/Peter_Thiel
[12] Spannender Geschichtsvergleich: https://de.wikipedia.org/wiki/Rosa_Liste
[13] https://www.deutschlandfunkkultur.de/totalueberwachung-der-uiguren-wie-china-muslime-kontrolliert-100.html
[14] https://digitalcourage.de/digitale-selbstverteidigung
[15] Für alle denen die Gedanken zu Macht- und Kontrollmechanismen für ein Verbot von Foto- und Videoaufnahmen nicht ausreichen, können diese gern aufgrund der klimaschädlichen Auswirkungen von internetbasierten Diensten und Technik ablehnen: https://monde-diplomatique.de/artikel/!5793006
[16] Natürlich gibt es auch positive Wirkungen der Digitalisierung, die hier nicht im Fokus stehen.
[17] Eigentlich an vielmehr Orten, aber die digitale Selbstverteidigung sollte endlich auch in linken Räumen zum Standard gehören.
[18] https://ifz.me/safer-clubbing