Rechte Montagsdemonstrationen (1): Die Radikalisierung ist abgeschlossen

Es gibt Artikel, an deren Beginn atmet ein/e Journalist/-in noch einmal tief durch. Dieser ist so einer, weil er niemals alles erfassen kann, was sich in letzten zwei Jahren rings um die Montagsdemos abspielte. Das aktuelle Thema ist jedoch nur so begreifbar: es lautet Gewalt gegen Minderjährige, Einsatzpolizist/-innen in seltsamen Einsatztaktiken auf einer Demonstration, die aktuell unter der putintreuen Flagge „Frieden, Freiheit, Selbstbestimmung“ von Montag zu Montag mehr und mehr aggressive Rechtsextremisten und Rassisten auf Leipzigs Ring zieht. Ein Lehrstück, wie eine Brutalisierung eintreten könnte, die an „Legida“-Zeiten erinnert.

Als Annette H. den Demozug an diesem 26. September 2022 gegen 19:20 Uhr auffordert, „wir wollen jetzt loslaufen“, hat sie erst einmal damit zu tun, eine Gruppe Männer von der Zugspitze wegzudirigieren. Das mittlerweile überholte Banner „Nordstream 2 sofort öffnen“ soll nach vorn, nicht die sich selbstbewusst aufstellende Gruppe um Lucien W. und ihr „Den Wahnsinn stoppen“-Transparent.

Diese bittet Annette H., sich etwas weiter hinten im Demonstrationszug zu postieren, spätestens seit der rechtsextremen 50-Teilnehmer-Demo von Lucien W. am 24. September 2022 wohlwissend, mit wem sie es hier zu tun hat. Ans Wegschicken der klar rechtsextrem orientierten Gruppe denkt die Anmelderin der putinfreundlichen und antiwestlichen Demonstration offenbar keine Sekunde.

Unter dem Deckmantel einer friedlichen Demo

Mit im Zug befinden sich am 26. September 2022 mit Steve M. und Marcus T. mindestens zwei ehemalige Ordner der vom Verfassungsschutz als rechtsextrem eingestuften „Bürgerbewegung Leipzig“ um Anmelder und Ex-NPD-Kader Volker Beiser. Sie gehören unter anderem zu den herumreisenden Gewaltsuchenden, die nicht nur in Zwönitz eine linksradikale Demonstration attackieren, sondern auch am 3. Oktober 2021 in Halle/S. hinter dem Demonstrationszug des einschlägig bekannten Rechtsextremisten Sven Liebich (Ex-Blood and Honour) herlaufen.

Steve M. bedroht am gleichen Tag unter den Augen der Polizei Sachsen-Anhalts zwei LZ-Reporter/-innen, Marcus T. grüßt überrascht zurück, als er bei der Hallenser Neonazidemo anlässlich des „Tag der Deutschen Einheit“ 2021 gesichtet wird.

Spätestens seit der Demonstration unter Beteiligung der „Freien Sachsen“ am 5. September 2022 in Leipzig sind nun die rechtsextremen Splittergruppe der „Bürgerbewegung Leipzig“ mit der „Bewegung Leipzig“ verbunden. Die AfD taucht mit Holger Hentschel (MdL) am 26. September 2022 erstmals offensiv auf und auch der Ex-NVA-Offizier Bernd R. („Bewegung Leipzig“) hat mittlerweile alle anfänglichen Berührungsängste gegenüber rechtsextremen Umtrieben fallengelassen.

Am 26. September 2022 ruft er die falsche Zahl von angeblich 3.000 Teilnehmer/-innen am pro-russischen Umzug um den Ring aus (es sind max. 1.500 bis 1.700, wie nachträgliche Zählungen der LZ, siehe Video, ergeben) und fordert „in der 600.000 Einwohnerstadt Leipzig“ mehr Beteiligung der Leipziger/-innen an Rufen wie „Ami go home“, „Ost, Ost, Ostdeutschland“ oder der Umkehrung der Kriegsschuld in der Ukraine.

Davon und der naiven Offenheit auch bei Annette H. an diesem Tag, den Slogan der rechtsextremen „III. Weg“-Partei wie „das System ist am Ende, wir sind die Wende“ durch ihr Mikrofon zu rufen, fühlen sich seit etwa vier Wochen zunehmend Männer wie Lucien W., Marcus T. und Steve M. bei der „Bewegung Leipzig“ willkommen. Sie sind nun ein anerkannter Teil einer wachsenden rechten Bewegung auf dem Leipziger Ring unter dem Deckmantel von Kriegsangst und Wohlstandsverlusten.

Lucien W. ist dabei nur einer der steigenden Zahl von Männern im Leipziger Demoreigen, die unter Namen wie „Neue Stärke“ oder eben „Freie Jugend“ auf Einschüchterung und Gewalt setzen. Männer, die sich, wie die von ihm angeführte „Freie Jugend“, klar rechts definieren und dem sogenannten bürgerlichen Lager bei den Demos suggerieren wollen, sie vor angeblichen Überfällen „der Antifa“ zu schützen.

Ein Frame, der schon bei der Betrachtung des Alters und der Friedlichkeit des bisherigen Gegenprotestes weitgehend zu Staub zerfällt.

Ein Bild, das auch der Redner der „Freien Jugend“ namens „Luca“ bei seinem Redebeitrag auf der Schlusskundgebung auf dem Augustusplatz am 26.09. unter großem Beifall nutzte. So wähnt sich der Jugendliche in einer Stadt Leipzig, die „von Linksfaschismus, Gewalt von links und Hass gegen andersdenkende Menschen“ geprägt sei.

Die „Gewalt von links“ hingegen gab es in nun zwei Jahren gegen keine einzige der unzähligen „Querdenker“-Demonstration, da die meist jungen bis minderjährigen 100 bis 200 Gegenprotestanten auf friedliche Sitzblockaden oder verbale Begleitung der „Querdenker“-Demos setzten.

Die Gewaltsuchenden agieren derweil ungesehen im Rücken der Polizei. Rücken, die ihnen die Einsatzbeamten bei der Absicherung der Demonstration zur Beobachtung des Gegenprotestes geradezu stoisch zuwenden. Als beispielsweise aus der Demo am 26. September 2022 der Ruf „Was hat denn der N**** hier zu sagen“ in Richtung eines dunkelhäutigen Menschen am Wegesrand erschallt, reagiert keiner der Beamten.

Dass sie den rassistischen Ausbruch eines Demoteilnehmers überhören, könnte auch mit ihrer geringen Anzahl und der Fehleinschätzung einer angeblichen Friedlichkeit der Demonstranten zu tun haben: über teils hundert Meter hinweg sind an diesem Abend beide Seiten des Demonstrationszuges ohne Beamte unterwegs.

Aufgezeichnet wird der Ruf im Livestream des im Demozug mitlaufenden Szene-Youtubers „Weichreite“ alias Sebastian W. Dieser hat seit den Anfängen der meist gleichen, mal gegen die Corona-Maßnahmen, mal gegen die Unterstützung des Westens für die Ukraine und immer gegen „das System“, die Regierung und die „Mainstreammedien“ Demonstrierenden eine andere Rolle, als die eines Journalisten übernommen.

Wenn kein Journalist, was dann?

Bereits früh im Jahre 2021 wird Beobachtern der Demos klar, dass es auch zur Verärgerung der Polizei sein Verständnis von Berichterstattung ist, ohne gültigen Presseausweis und redaktioneller Kenntnis möglichst nah an den antifaschistischen Gegenprotest heranzukommen und einzelne Gesichter live auf Youtube zu übertragen.

Dies geschieht an manchen Montagen so exzessiv, dass er teilweise nach den Übertragungen die Videos im Netz depubliziert. Mutmaßlich, da ihm Anzeigen wegen gebrochener Persönlichkeitsrechte vonseiten der Gegendemonstranten drohen könnten. Die Mitschnitte seiner Liveübertragungen hingegen dürfte er bis heute besitzen.

Obwohl ihm die Gegendemonstranten anfangs verbal, bald mit Sichtabdeckungen wie Regenschirmen ein ums andere Mal klarmachen, dass sie diese Versuche, Portraitaufnahmen von ihnen live ins Netz zu übertragen, nicht wollen, lässt W. über Monate nicht nach in seinen Versuchen. Regelmäßig wird er so auch selbst zum Gegenstand seiner eigenen „Berichterstattung“, bestehend aus Gefälligkeitsfragen an „Querdenker“, zustimmender Kommentierung der Parolen und eher Belästigungsversuchen ähnelnden Annäherungen an den Gegenprotest.

Im Gegensatz zu Journalisten bittet er dabei nicht vor dem Start der Kamera unter Angabe seines Namens und des Mediums, für das er arbeitet, um ein Gespräch oder Statement, sondern filmt und überträgt einfach durchgehend.

Gleichzeitig tut er so, als ob er auf den Demonstrationen der „Bürgerbewegung Leipzig“ entgegen der Einschätzung des Sächsischen Verfassungsschutzes und ausreichenden Zitaten von Rednern einfach keine rechten Tendenzen finden könne. Regelmäßig fragt er Demonstrierende, ob sie sich selbst als „Neonazis bezeichnen“ würden.

Als ihm entgegen seiner Erwartung, dass diese durchaus dämliche Aufforderung zur Selbstbezichtigung wohl kaum jemand bejahen wird, ein „Bürgerbewegung“-Ordner mit dem Spitznamen „Odin“ auf die Frage, ob er ein Rechtsextremist sei, mitten in seinem Livestream mit „Ja, ich denke schon“ antwortet, lacht der „Journalist“ ungläubig, um anschließend betreten von dannen zu gehen.

„Unser Odin“, wie ihn der damalige Versammlungsanmelder Beiser kurz darauf im gleichen Stream nennt, muss danach die Ordnerbinde offenbar abgeben, darf aber bleiben. Zu viel Offenheit ist dem ehemaligen Schatzmeister der Rheinland-Pfälzischen NPD dann doch zu viel, sie schadet der Anschlussfähigkeit ans bürgerliche Lager.

Was geschieht abseits der „friedlichen Demos“?

Eine Ohrfeige, die Sebastian W. im Sommer 2022 in der Nähe des Leipziger Marktplatzes auf einem Freisitz nach einer Demo von einem angetrunkenen Linksradikalen bekommt, soll dafür sein, dass „Weichreite“ Informationen über Antifaschisten an die rechtsextremen Kreise um Volker Beiser (für Sebastian W. „Volker“) geliefert habe. Ob dieser Vorwurf stimmt oder nicht, ist nicht bewiesen.

Doch nach zwei Jahren kennen sich alle Beteiligten vom Sehen, teils sogar vom ersten Tag der „Anti-Corona-Proteste“ im Frühjahr 2021 an, als Lucien W., Marcus T., Steve M. und weitere als Ordner und Sebastian W. als „Journalist“ Volker Beisers „Bürgerbewegungs“-Demonstration flankieren und unterstützen.

Fest steht auch, dass nur drei Tage, nachdem Anfang 2022 dem Youtuber Sebastian W. am Rande einer der „Querdenker“-Demonstration von Antifaschisten das live streamende Handy entrissen wird, ein Raubüberfall auf einen ganz bestimmten Mobilfunkladen in der Eisenbahnstraße stattfindet. Der allein im Laden stehende Verkäufer wird verletzt. Die Beute: Kleingeld aus der Ladenkasse und genau ein Handy.

Das Opfer des Überfalls ist als bekennender Antifaschist, Familienvater und regelmäßiger Gegendemonstrant bei den „Querdenker“-Demos zudem in der Folge im Jahr 2022 mehrfaches Ziel von Attacken auf seinen Pkw im Leipziger Stadtteil Grünau. Der Wagen wird mit „Zecke“ und einem Fadenkreuz beschmiert, die Reifen zerstochen, zuletzt wird im September 2022 ein Brandanzünder auf seinem Reifen platziert.

Nur wenige Tage nach der Brandanschlagsserie Ende August 2022 im gleichen Stadtteil unter anderem auf das Flüchtlingsheim in der Liliensteinstraße 15a findet der offensichtlich von rechten Kriminellen Verfolgte morgens einen in den Motorraum ausgelaufenen Molotowcocktail auf der Motorhaube seines Pkw vor.

So ungewöhnlich die Häufung der mittlerweile drei Anschläge gerade auf seinen Pkw im nahen Umfeld seiner Grünauer Wohnung und der Überfall auf der Arbeitsstelle ist, so ungewöhnlich nah befinden sich auch die Orte der drei Grünauer Brandanschläge beieinander. Die betroffene Kita, die Sporthalle und die Gemeinschaftsunterkunft für Asylbewerber liegen in einem fußläufigen Umkreis von kaum 10 Minuten.

Bis heute ermittelt das Landeskriminalamt Sachsen in all diesen Fälle ergebnislos und kann die mutmaßlich im Nahbereich der Grünauer Tatorte wohnenden Täter ebensowenig finden, wie eventuelle Bezüge zu den Montagsdemonstrationen herstellen. Ob die Ermittler überhaupt in diesem Umfeld suchen, ist unklar.

Am 26.09.2022 jedenfalls fixieren die Einsatzbeamten ein ums andere Mal vor allem den linken, teils minderjährigen Gegenprotest. Oder schubsen diesen, wie gegen Ende auf dem Augustusplatz, bei der kleinsten Möglichkeit in der Gegend herum.

Die Drohungen und Gewalttaten hingegen begehen seit langer Zeit im Umfeld und abseits der Demonstrationen jene, denen die Einsatzbeamten die lange Leine gönnen und deren Demonstrationsrecht sie schützen.

Sei es am 12. September 2022, als ein Mann drei LZ-Journalisten einige Zeit nach der Demo mit „irgendwann erschieß ich Euch auch noch“ anspricht, sei es, als am 5. Februar 2022 eine Schlägertruppe auf der Jagd nach Journalisten und „der Antifa“ ist. Lucien W., der mit seinen Kameraden die Demospitze am 26. September beansprucht, ist mit weiteren Kameraden auch hier dabei.

So sollen sich unter anderem Lucien W., Steve M., Kevin A. und das langjährige NPD-Mitglied Kai M. laut der LZ vorliegenden Polizeivorladungen am 5. Februar 2022 an einem Überfall beteiligt haben, welcher auf dem Augustusplatz den heimreisenden Gegenprotest nach einer unangemeldeten „Querdenker“-Demo am Völkerschlachtdenkmal trifft.

Der etwa 1,90 Meter große Lucien W. und der deutlich kleinere Kevin A. werden nach einem Angriff auf die von ihnen als Feind gesehene Gruppe schwarz gekleideter Jugendlicher eher zufällig vor Ort gestellt und geraten so in eine Polizeimaßnahme.

Zuvor hatten sie am gleichen Tag, offenkundig noch auf dem Weg Richtung Augustusplatz, bereits an der Pragerstraße Höhe Thonbergklinik einem LZ-Journalisten erfolglos nachgestellt.

Steve M., hier Mitbeschuldigter neben Lucien W. und jener Ex-Ordner von Volker Beiser, welcher in Zwönitz und Halle/S. unterwegs war und Verbindungen zu jener Friseurmeisterin Saskia J. hat, welche 2021 in Großzschocher gegen alle Coronaregeln verstieß und ihre Ladenschließung von Amtswegen erlebte, beteiligte sich auch am Rande einer am 2. September 2021 von Beiser angemeldeten Anti-Michael Kretschmer-Demo während des Bundestagswahlkampfes 2021 in Liebertwolkwitz mit deutlichen Drohgebärden.

An seiner Seite nahezu immer Marcus T., der auf Facebook seit einigen Monaten unter falschem Namen auftritt und hier als „1-Prozenter“ eine Nähe zum Rockermilieu darzustellen versucht. Eines von seinen vier Lieblingsbildern im blauen Netzwerk zeigt Marcus T. und einen weiteren Mann, wie sie mit Lang-Schusswaffen posieren. Ob sie echt sind oder nicht, ist nicht zu erkennen.

Am 26. September läuft er, wie auch Steve M., im Demozug mit, wenn auch einige Meter entfernt voneinander.

Bei der Abschlusskundgebung wird Steve M. auf dem Augustusplatz zufällig im direkten Umfeld zweier Männer fotografiert, die sich kurz darauf gegen 20:30 Uhr an einem brutalen Überfall direkt im Umfeld des Demonstrationsgeschehens beteiligt haben sollen. Und im Nachgang von den Opfern nach ihrer Behandlung im Krankenhaus gegenüber LZ identifiziert werden.

Wer die Täter waren, ist noch nicht bekannt. Potential für einen erneuten Übergriff auf Andersdenkende aus dem Umfeld einer angeblich friedlichen Demonstration war überreichlich vorhanden an diesem 26. September 2022.

https://www.l-iz.de/leben/gesellschaft/2022/09/rechte-montagsdemonstrationen-1-die-radikalisierung-ist-abgeschlossen-video-474207, on Michael Freitag 29. September 2022