Verräter gehen, Vergewaltiger bleiben

Johannes Domhöver, einer der Angeklagten im Antifa-Ost-Verfahren, wurde im Oktober 2021 im linken Internetforum Indymedia von zwei Betroffenen als sexuell und psychisch gewalttätig geoutet. Gleichzeitig ist Domhöver im Antifa-Ost-Verfahren angeklagt, in dessen Rahmen er sich nun entschloss, mit der Polizei zu kooperieren. Im Frühjahr bereits war ein weiteres Strafverfahren wegen Vergewaltigung gegen ihn von der Staatsanwaltschaft Berlin eingestellt worden, die dieses im Februar letzten Jahres eröffnet hatte.

Wie im Antifa-Ost-Verfahren wurde Domhöver auch im Strafverfahren wegen Vergewaltigung vom »linken« Hamburger Anwalt Alexander Kienzle vertreten, der regelmäßig mit der Roten Hilfe zusammenarbeitet. Im Oktober 2021 beantragte Kienzle die Einstellung des Strafverfahrens wegen Vergewaltigung mit der Begründung, es habe sich um konsensuellen Sex gehandelt. Hier nutzte also ein Szeneanwalt die betroffenenfeindlichen Mechanismen der Justiz, um eine Betroffene zu bekämpfen. Die Frage, wie lange und mit welchen Mitteln die Rote Hilfe Domhöver in seinem Strafverfahren wegen Vergewaltigung unterstützte, bleibt bisher unbeantwortet.

Im Oktober 2021, also ein gutes halbes Jahr nach Beginn des Strafverfahrens wegen Vergewaltigung, erschienen in kurzer Folge die zwei Outings im Internet, durch die dann schließlich die meisten linken Gruppen Domhöver offiziell die Unterstützung entzogen. Das Solibündnis Antifa Ost, welches die Beschuldigten im Antifa-Ost-Verfahren unterstützt, erklärte in mehreren Statements, dass sie bereits 2020 aus Akten einen deutlichen Hinweis auf Domhövers sexuelle Gewalttätigkeit erhalten hatte. Daraufhin sei zu lange nicht reagiert worden. Eine der Betroffenen erklärte auf Indymedia, dass Täterarbeit mit Domhöver stattgefunden habe, die gescheitert sei. Es zeichnet sich also ein Bild, in dem verschiedene Gruppen und Personen bereits früh Kenntnis darüber hatten, dass Domhöver ein Täter ist und diesen trotzdem weiterhin unterstützten. Während die Betroffene im Strafverfahren zunächst, so liest es sich auf Indymedia, keinerlei Unterstützung aus Szenestrukturen erhielt.

Domhövers Zusammenarbeit mit der Polizei wird wohl zu seinem Ausschluss aus linken Zusammenhängen führen. In solchen Fällen gibt es kaum Debatten, ob diese Maßnahme nicht zu krass ist. Dementsprechend hasserfüllt äußern sich diverse linke Gruppen, die Domhövers Verrat und seine Täterschaft in ihren Stellungnahmen kommentieren. Das ist normalerweise anders, wenn Betroffene von sexueller Gewalt fordern, dass Täter ausgeschlossen werden.

Ein Argument gegen Ausschlüsse ist, dass Täter dann vermutlich nicht-linken Frauen gegenüber übergriffig wären und wir als Szene die Verantwortung übernehmen sollten, mit ihnen an ihrer Gewalttätigkeit zu arbeiten. Für Domhöver scheint dieses Argument nun angesichts seines Verrats nicht mehr zu gelten. Wir müssen ihn nicht resozialisieren und in Kauf nehmen, dass er der Polizei Auskunft über unseren Aktivismus gibt, wie wir hätten in Kauf nehmen sollen, dass er uns Gewalt antut. Auch dass Domhöver eventuell Frauen in seinem neuen Umfeld angreift, ist plötzlich nicht mehr so wichtig. Der Verräter muss gehen, der Vergewaltiger kann bleiben.
Warum tut er das?

Die feministische Debatte der letzten zwei Jahre hat Fragen nach der Motivation der Täter aufgegriffen. Wir schrieben Texte über Männlichkeit, Geschlechterrollen, Dominanzansprüche und sexuelles Anspruchsdenken. Wir hielten und besuchten Seminare und Vorträge mit dem Anspruch, Männern die Verantwortung für ihre Gewalttätigkeit zurückzugeben. Auch ich habe mich an dieser Debatte beteiligt. Und nach wie vor finde ich es richtig, dass FLINT-Personen die Verantwortung für geschlechterspezifische Gewalt zurückweisen. Gleichzeitig zeigt sich an den szeneinternen Fällen der letzten Jahre, dass es an Wissen über Täterstrategien fehlt und deshalb strategisch ungünstige Entscheidungen im Umgang mit Tätern getroffen werden.

In einer idealen Welt sollte es nicht unsere Aufgabe sein, uns Wissen anzueignen, um uns zu schützen. Trotzdem brauchen wir Wissen, um die Betroffenen nicht durch (verständliche) Überforderung und schlechte Entscheidungen im Umgang mit Tätern alleine zu lassen. Gute Betroffenenarbeit hängt davon ab, dass wir sehen lernen, wann welche Maßnahmen (wie z.B. Gespräche mit Tätern) sinnvoll sind und wann nicht. Damit es irgendwann vielleicht wirklich funktioniert, mit Täter »zu arbeiten«, ohne Betroffenen die Solidarität zu entziehen. Eine feministische Selbstorganisierung sollte also Täterarbeit leisten können, die dazu beiträgt, dass ein Domhöver schneller gehen muss, wenn es keinen Weg gibt, ihn dazu zu bewegen, sein Verhalten zu ändern.

In fast allen öffentlich diskutierten szeneinternen Übergriffsfällen der letzten Jahre hätte das, was Täterarbeit genannt wurde, früher abgebrochen oder gar nicht erst begonnen werden sollen – weil keine funktionierenden Strategien und wenig Ressourcen existierten, um diese Interventionen nachhaltig zu leisten, geschweige denn weiterzuentwickeln. Das Ende der Täterarbeitsfahnenstange wird in den meisten Fällen schnell erreicht, weil es zeitgleich keine funktionierende Betroffenenunterstützung gibt. Und das ist die erste Aufgabe feministischer Selbstorganisierung: Arbeit mit Betroffenen in einer misogynen Gesellschaft lernen und verbessern. Dazu gehört auch, dass Betroffene nicht alles sofort und alleine entscheiden können sollen. Es ist schön zu sehen, wie sich einige Gruppen dieser Aufgabe bereits angenommen haben.
Die Empathiefrage

Lyndon Bancroft beschreibt in seinem Buch »Warum tut er das« typische Strategien, mit denen Täter in Fällen von Beziehungsgewalt Konsequenzen vermeiden und Verantwortung abwehren. Bancroft hat lange Zeit in einem Resozialisierungsprogramm mit Tätern in Einzelgesprächen und Gruppen gearbeitet. Seine banale Antwort ist: Täter tun das, weil sie denken, dass es ihnen zusteht, andere zu kontrollieren. Das ist die männliche Anspruchshaltung, von der auch im Kontext von Männlichkeitsarbeit so oft gesprochen wird.

Wir brauchen mehr Verständnis für Strategien, mit denen sich Täter in Strukturen halten, ohne ihr Verhalten zu ändern.

Die schlimme Kindheit, die Geldprobleme und der verschwundene Vater, die Sozialisation, Traumatisierung und zu wenig Liebe in unserer Gesellschaft, Unsicherheit mit der eigenen Geschlechterrolle – das sind Probleme, die Frauen, inter- und transgeschlechtliche Menschen ebenfalls haben – trotzdem sind Männer in massiver Überzahl gewalttätig. Das Problem sind also nicht überschießende Gefühle einzelner Männer mit tragischer Lebensgeschichte, sondern die in patriarchalen Verhältnissen verankerte Überzeugung, einen Anspruch auf Körper, Geld, Zeit, Unterwerfung von Betroffenen zu haben. Anders formuliert: Wir haben es bei geschlechtsspezifischer Gewalt nicht vorrangig mit mangelnder Selbstkontrolle zu tun, sondern mit frauenfeindlichen Einstellungen.

Bancroft warnt dementsprechend davor, individuelle, auf Gefühlen, eigenen Gewalterfahrungen oder Täterschaft beruhende Beweggründe zu suchen, mit denen Täterverhalten »nachvollziehbarer« wird. Das führe dazu – und das sehen wir szeneintern ebenfalls – dass Maßnahmen, um Betroffene zu schützen und weitere Taten zu verhindern, ausbleiben. Ein Beispiel dafür sind die gescheiterten Täterarbeiten mit Henning Franke, der 2020 als Sexualstraftäter in größerem Rahmen öffentlich enttarnt wurde, und scheinbar ebenso mit Domhöver, wie aus dem Outing der Betroffenen hervorgeht.

In einer Gesellschaft, in der sexuelle Gewalt alltäglich ist und die Probleme männlicher Täter höher bewertet werden als das Leid ihrer Opfer, wird unsere Suche nach Gründen für Taten zur Waffe gegen uns selbst. Dieser komplizierte Satz meint, dass wir aufpassen müssen, dass Empathie mit Tätern nicht dazu führt, dass wir passiv und nachlässig im Umgang mit ihnen werden, weil wir uns fragen, ob wir nicht zu streng sind. Wenn es nicht mal theoretisch gesehen genug Platz für unseren Ärger gibt, wird unser Verständnis nichts an den Verhältnissen ändern. Also ja: Wir brauchen mehr Verständnis – nicht im Sinne von Mitleid mit Tätern auf Kosten von Betroffenen, sondern Verständnis für die Strategien, mit denen sich Täter in Strukturen halten, ohne ihr Verhalten ändern zu müssen.

Ja, alle Menschen handeln gelegentlich grenzüberschreitend und verletzend – auch im sexuellen Bereich. Und ja, es macht Sinn, auf solche Vorkommnisse anders zu reagieren als auf geschlechtsspezifische Gewalt, die in einer patriarchalen Gesellschaft normalisiert wird. Es ist wichtig, das eine vom anderen zu unterscheiden – allerdings ohne die Debatte dafür zu öffnen, dass wir eigentlich ein Problem mit überzogenen Vorwürfen hätten. Zu behaupten, dass Betroffene und Unterstützende zu garstig sind und Täter entmenschlichen, lenkt davon ab, dass die großen Probleme aktuell folgende sind: 1. Betroffene werden bekämpft und allein gelassen, bis nichts mehr außer Ausschluss geht und 2. Täter werden geschützt.

Ja, auch ich bin davon überzeugt, dass jeder Mensch, Zugehörigkeit, Liebe und Verständnis verdient hat, auch Täter. Wenn aber Täterarbeit überhaupt durchgeführt werden soll, braucht es eine ausreichend wirksame Handhabe, um Betroffene zu schützen, wenn weitere Taten folgen oder in der Täterarbeit nicht mitgearbeitet wird. (1) In den meisten mir bekannten Fällen reichten diese Maßnahmen nicht aus oder wurden zu inkonsequent und zögerlich umgesetzt, sodass sich Täter der sozialen Kontrolle in der Täterarbeit entziehen konnten. Oft lag das eben an der Unsicherheit, die Täter mit ihrem selbstmitleidigen und unehrlichen Verhalten förderten, um sich selbst zu schützen.

Ich verstehe gut, dass sich Betroffene und ihre Umfelder über diesen Selbstschutz ärgern und empören. Das ist nachvollziehbar und richtig. Wir sollten uns aber nicht dazu verleiten lassen, Täter »überzeugen« zu wollen. Die Einflussmöglichkeiten auf Täter sind gering, wenn diese nicht von selbst etwas ändern wollen und unter Sanktionsandrohung zu Täterarbeit gezwungen werden müssen.

Ohne Druck geht es also nicht, wie auch zahlreiche Beispiele und die Fachliteratur nahelegen. Gleichzeitig ist es moralisch fragwürdig, Menschen zu so etwas wie »Therapie« zu zwingen. Dieses Dilemma löst sich momentan meist zuungunsten von Betroffenen auf und Täter bleiben. Während politische Verräter, wie gesagt, relativ widerspruchslos ausgeschlossen werden.
Manipulation und Gesprächsführung

Täterstrategien zielen bewusst oder unbewusst darauf, eine Situation herzustellen, in denen ihre Umfelder aus Überforderung, schlechtem Gewissen, Mitleid, Unsicherheit, Verwirrung passiv werden. Betroffene und ihre Unterstützer*innen zu mehr Verständnis zu animieren ist eine solche Strategie, mit der vom eigentlichen Thema – der Gewalttätigkeit – abgelenkt wird.

Das ist ein weiterer Punkt, in dem feministische Selbstorganisierung mehr Expertise sammeln und einsetzen kann: Wie setzen wir in Auseinandersetzung mit Tätern das Thema? Woran erkennen wir, dass wir vom Thema abgekommen sind? Wann sollten Gespräche abgebrochen werden, weil wir nichts erreichen oder sogar Schaden anrichten? Wie führe ich eigentlich ein konfrontatives Gespräch? Und woran erkenne ich, dass ich über meine eigenen Grenzen gehe?

Diese Fragen zielen darauf, konkrete Fähigkeiten wie Gesprächsführungstechniken und Analysefähigkeit in Gesprächen zu erlernen – zum Beispiel im Rahmen von Beratungs- oder Therapieausbildungen oder der Arbeit in feministischen Beratungsstellen. Abgesehen von politischen Debatten ist es unabdingbar, dass mehr Feminist*innen konkrete Werkzeuge erlernen, um Betroffene zu unterstützen.

Insbesondere die Frage, wann Täterarbeit abgebrochen (oder gar nicht erst begonnen) werden sollte, führt uns wieder zum Anfang dieses Textes: Warum können Täter bleiben? Weil wir zu spät erkennen, wann es unumgänglich wird, sie auszuschließen. Und, weil Täter wie Domhöver regelmäßig aus der Bewegung heraus unterstützt werden.

Die Worte der Betroffenen zeigen, dass dieser Punkt auch hier mit mehr als wehenden Fahnen verpasst wurde. Die Outings sind erneute schmerzhafte Berichte darüber, wie ein vermeintlich linker Täter einzelne von uns attackieren und isolieren konnte. Ich wünsche euch, dass ihr zumindest jetzt wisst, dass ihr nicht alleine seid. Viele andere Betroffene, auch ich, sehen euch und stehen hinter euch. Danke für euren Mut und danke an alle, die uns als Betroffene unterstützen.

gefunden auf: akweb.de