Demo vorm Gericht, Diskussionen im Saal: „Kronzeuge“ aus der linken Szene sagt gegen Lina E. aus
Im Prozess um linksextreme Gewalt in Dresden soll am Donnerstag das mutmaßliche Ex-Mitglied einer militanten Gruppe aussagen. Die Sicherheitsvorkehrungen vor Gericht sind hoch, die Aufregung auch.
Dresden. Die Aufgeregtheit vor dem Oberlandesgericht Dresden (OLG) ist am Donnerstagmorgen groß. Ein Hubschrauber kreist. Die Polizei versucht, schon den Zugang zum Vorplatz des Gebäudes zu regulieren, kontrolliert Ausweise und erntet Kritik dafür. Demonstranten spielen Musik auf einer Kundgebung am Straßenrand, „Ratten den Schwanz abhacken – gegen Täter und Verräter“ steht auf einem Plakat. Drinnen im Gebäude betritt der Mann, dem dieser ganze Auflauf gilt, den Saal mit langen Schritten, hellblauem Hemd und einem halben Dutzend Personenschützern: Johannes D., mutmaßliches Ex-Mitglied der linksextremen Gruppe um die Leipzigerin Lina E. „Das mach ich gerne“, sagt er, als er gebeten wird, direkt ins Mikrofon zu sprechen, damit man ihn besser versteht: wie er heißt, wann er geboren ist, was er beruflich macht.
Seit September 2021 steht die Leipziger Studentin Lina E. zusammen mit drei Männern wegen Angriffen auf Rechtsextreme vor Gericht, E. soll Kopf einer linksextremen kriminellen Vereinigung sein. Verhandelt wird im Hochsicherheitssaal des OLG. Lange lief der Prozess schleppend, dann wurde bekannt, dass Johannes D. bei er Polizei und anderen Sicherheitsbehörden ausgesagt hat, dass er im Zeugenschutzprogramm ist. D. ist in dem Dresdner Verfahren nicht angeklagt, soll aber an einer der Gewalttaten beteiligt gewesen sein. Seit er geredet hat, wird er in der linken Szene als Verräter geschmäht.
Lange Debatte um Ausschluss der Öffentlichkeit
Lange war unklar, ob D. unter Ausschluss der Öffentlichkeit aussagen würde. Im Raum stand, ob er womöglich zu stark gefährdet sein könnte. Der Vorsitzende Richter des Staatsschutzsenats am OLG erwähnte unter anderem Video, in dem mehrere Graffiti aus Nürnberg zu sehen sind, eines davon: „9mm für 31er“, also eine Kugel für alle Verräter, so jedenfalls kann man das deuten. Das als Mordaufruf zu interpretieren, nennt der Richter „nicht fernliegend“.
D. selbst stellte zu Beginn seiner Aussage einen Antrag ohne Öffentlichkeit aussagen zu dürfen, zog ihn aber kurz darauf überraschend wieder zurück. „Mir ist es wichtig, mit meiner Motivation anzufangen, warum ich schlussendlich hier sitze“, sagte er dann, unaufgeregt und gelassen. D. ist nicht erst seit seiner Aussage bei der Polizei in der linken Szene geächtet – 2021 sind Vergewaltigungsvorwürfe gegen ihn mit Namen und Bild veröffentlicht worden, mehrere Bündnisse entzogen ihm daraufhin sie Solidarität. Das habe ihn nicht weiter gestört, den Eindruck vermittelte D. vor Gericht.
Mutmaßliche Übergriffe auf seine Ex-Freundin
Zwar wisse er was er getan habe und was nicht und verwies auf ein Ermittlungsverfahren gegen sich wegen mutmaßlicher Übergriffe auf seine Ex-Freundin, das im März 2022 eingestellt worden sei. Aber er sei kurz vor den öffentlichen Vergewaltigungsvorwürfen wegen „persönlicher Differenzen über politische Dinge“ ohnehin nach Warschau gezogen, habe dort eine neue Stelle angetreten. Dann aber sei er, bekannt geworden durch die Veröffentlichung der Vorwürfe gegen sich, auf einer rechtsextremen Demonstration in Polen angegriffen worden, die er „nur mal besuchen“ wollte. Zudem sei er bei seinem Arbeitgeber wegen der Vorwürfe entlassen worden. „Ich wollte einfach ein vernünftiges, gerades Leben leben“, so D., aber er habe begriffen, dass die Vorwürfe gegen ihn immer wieder Thema werden würden. „So, wie andere sich entschieden haben, gegen mich, habe ich auch eine Entscheidung treffen müssen“, sagte D.
Ausspähung des richtigen Moments für den Übergriff
Ausführlich äußerte der Zeuge sich dann zu einem Übergriff auf eine bekannten Rechtsextremen in Eisenach im Dezember 2019. Er sei damals von Johann G. gebeten worden, bei „einem Projekt“ mitzuwirken. G. ist ein seit Sommer 2020 untergetauchter Linksextremist, soll mit Lina E. verlobt sein und wird von den Ermittlungsbehörden zusammen mit ihr als Kopf der mutmaßlichen linksextremen Gruppe gesehen. Johannes D. schilderte die Dezembernacht weitgehend so, wie sie in dem Dresdner Verfahren auch angeklagt ist: Er selbst habe den richtigen Moment für den Übergriff ausspähen sollen, die anderen, Beteiligte aus Berlin, Leipzig und Weimar, hätten den Rechtsextremen und seine Begleiter vor dessen Wohnung mit Hammern und Stangen angegriffen. D. belastete unter anderem Lina E. direkt – sie sei an dem Angriff beteiligt gewesen. Er selbst, D., hat den konkreten Übergriff, so seine Aussagen, aber nicht gesehen: Er sei nach seiner Spähaktion weggefahren, „weil meine Aufgabe an dem Tag als Scout erledigt war.“Die Vernehmung von D. soll am Donnerstagnachmittag fortgesetzt werden. Sie ist insgesamt für mehrere Verhandlungstage angesetzt.