Security-Gewalt (1): Homophobie-Vorwurf und verhärtete Fronten nach Spizz-Vorfall

Es ist Mittwochvormittag, als sich Robert H. auf den Weg in ein Berliner Krankenhaus macht – Nachuntersuchung rechtes Auge. In den nächsten Wochen stehen weitere Arzttermine an, darunter auch eine Operation am Ohr. Der 32-Jährige wurde vor genau einem Monat im Leipziger Jazzclub Spizz zusammengeschlagen. Die Diagnose: fünffach gebrochenes Jochbein, zweifach gebrochenes Nasenbein, zweifach gebrochener Kiefer. Im Nachgang werden noch ein geprelltes Handgelenk und ein Loch im Trommelfell festgestellt.

Von der Clubnacht ins Krankenhaus

Am Samstag, 21. Mai 2022, fuhr Robert H. mit seinem Freund Patrick von Berlin aus nach Leipzig, um dort in den 30. Geburtstag eines gemeinsamen Kumpels zu feiern. Der Abend startete im Barfusz, der Nachbarkneipe des Spizz. Nach Mitternacht verlagerte die Feiergesellschaft die Party in den Spizz-Keller, berichtet H. im Gespräch mit der Leipziger Zeitung: „Dort war ein abgetrennter Bereich für uns reserviert. Die Stimmung war locker und entspannt.“

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Der Set-Aufnahmeleiter von „Berlin Tag & Nacht“ erzählt weiter, dass er beim Tanzen im VIP-Bereich sein Oberteil auszog und mit einigen weiblichen Gästen der Geburtstagsrunde tanzte. „In Berlin ist das gang und gäbe und da stört sich auch keiner daran, wenn ein Homosexueller oberkörperfrei mit ein paar Frauen tanzt.“

Im Leipziger Spizz wurde H. jedoch von der Security dazu ermahnt, das Oberteil wieder anzuziehen. Das seien die Hausregeln und es lägen auch Beschwerden über seine Freizügigkeit vor.

H. gibt zu, der Security widersprochen und nicht nach deren Anweisungen gehandelt zu haben. Nach mehrmaligen Aufforderungen und in die Leere führenden Diskussionen hätten er und sein Freund beschlossen, die Party zu verlassen.

Gegen 3 Uhr ging dann laut der Polizeidirektion Leipzig ein Notruf ein. Ein Mitarbeiter sagte, es sei zu einer Auseinandersetzung zwischen einem Gast und dem Security-Personal gekommen. Der Gast: Robert H. Als er blutüberströmt mit dem Krankenwagen ins Uniklinikum fuhr, machte der Berliner Fotos zur Dokumentation seiner Verletzungen.

„Ich habe Erfahrungen damit“

„Ich habe eine andere Erfahrung damit gemacht“, erzählt H. Vor sieben Jahren sei der damalige Berufsschüler von einem Fahrradfahrer erwischt worden. Seine Mitschüler/-innen hätten davon mitbekommen, aber später keine Zeugenaussagen bei der Polizei machen wollen. Er habe gelernt, dass man selbst Beweise sammeln müsse.

Was genau auf dem Weg von der Garderobe des Spizz-Kellers bis nach oben auf die Straße passierte, kann H. selbst kaum noch rekonstruieren. Beim ersten Schlag sei er quasi bewusstlos geworden. Ein anderer Gast schreibt H., als er im Krankenhaus liegt: „Ich saß am Samstag im Raucherbereich der oberen Bar vom Spizz. Ich wollte dir nur gute Besserung wünschen. Sah ziemlich schlimm aus, wie die Security auf dich eingeschlagen und getreten hat.“

Nach dem Vorfall teilt die Polizei mit, dass nun gegen drei Mitarbeiter der Security (1) im Alter von 22, 36 und 44 Jahren ermittelt wird – wegen des Anfangsverdachts der gefährlichen Körperverletzung.

Security-Firma wird weiterbeschäftigt

Noch an besagtem Abend im Spizz stellt der Geschädigte H. Anzeige gegen einen der Männer: Ali H., der unter anderem unter den bekannten „La Familia“- und „KSK09“-Kämpfern Hassan A. und Konrad D. Jiu Jitsu trainiert.

Die beiden Kampfsportgyms sind laut chronik.LE von rechten Strukturen und einer toxischen Männlichkeitsvorstellung geprägt (2). chronik.LE ist die Dokumentationsplattform für rechtsextreme und diskriminerende Aktivitäten in Leipzig.

Henrik Dantz, der Geschäftsinhaber des Spizz, berichtet, dass an diesem Abend Mitarbeiter der Security-Firma BR Events vor den Clubtüren standen. Dantz betreibt das Spizz seit zwei Jahren und habe das Sicherheitsunternehmen eingesetzt, da es unter seinen Vorgängern mehr als 20 Jahre für die Tanzbar gearbeitet hat.

Daher werde er BR Events – nach einem klärenden Gespräch – auch weiterhin beschäftigen: „Es gibt aktuell kein grundsätzliches Problem. Solange die Staatsanwaltschaft keinen Täter ermittelt, sehe ich mich nicht gezwungen etwas zu ändern.“

Als wir die Sicherheitsfirma selbst um eine Stellungnahme bitten, erhalten wir nur die Antwort: „Wir können uns derzeit nicht dazu äußern. Erst mit einem Anwalt.“

„Da wurde freiwillig der Tod von jemandem in Kauf genommen“

Was der Auslöser für den Angriff war, ist derzeit noch ungeklärt. Robert H. erzählt im Gespräch mit der LZ, dass er ganz klar ein homophobes Motiv sieht: Er habe ein Glitzer-Oberteil getragen, lackierte Fingernägel, Schmuck.

Spizz-Chef Dantz stellt sich entschieden dagegen: „Wir sind ein diverser Laden und ich finde, diese Anschuldigung grenzt an Verleumdung.“ Man habe diese Partygesellschaft gerne und bewusst angenommen.

Einige Zeug/-innen sollen auch von weiteren Provokationen durch H. berichtet haben. Eine ehemalige Türsteherin bezieht gegenüber der LZ jedoch klar Stellung: „Und wenn er sich mit Händen und Füßen gewehrt hätte und den Türstehern ins Gesicht schlagen wollte: Dafür lernt man bei der Security-Ausbildung verschiedene Techniken, Polizeigriffe. Durch solche Griffe hat man vielleicht blaue Flecken und Quetschungen, aber kein fünffach gebrochenes Jochbein. Da wurde freiwillig der Tod von jemandem in Kauf genommen.“

Natürlich sei da etwas gewaltig schiefgelaufen, so Dantz: „Aber es kann jemand sehr lange vor deinem Laden an der Tür stehen und nach einigen Jahren reagiert er falsch.“ Er könne nicht die Gedanken und Einstellungen des über eine externe Security-Firma beschäftigten Personals lesen.

Nicht der erste Vorwurf

Doch wie chronik.LE berichtet, sei dies nicht der erste Vorwurf der Diskriminierung. Schon in der Vergangenheit sei das Security-Personal im Spizz aufgefallen.

6. Mai 2022: „Eine Person of Color (PoC) will freitagabends mit Freund/-innen in den Club Spizz am Leipziger Markt. Der Türsteher verweigert ihr sowie einer weiteren Person of Color ohne Begründung den Eintritt. Eine rassistische Diskriminierung ist sehr wahrscheinlich.“ Und auch 2017 sei Personen mit Migrationshintergrund der Eintritt verwehrt worden.

Als wir Henrik Dantz auf den Ruf seines Security-Personals ansprechen, entgegnet er: „Es gibt immer Personen, die aus bestimmten Gründen nicht reinkommen. Immer wenn sowas passiert, wird die Ausländerkarte gezogen… oder eben die Homophobie-Karte.“

Natürlich müsse man jeden Vorfall differenziert betrachten, aber er habe noch von keinen rassistischen Erfahrungen in seinem Laden mitbekommen. Außerdem seien in seiner Stammbelegschaft neben Personen aus der LGBTQ-Community auch Personen mit Migrationshintergrund – was natürlich immer dafür spricht, dass ein Laden tolerant und weltoffen ist …

Erste Ermittlungsergebnisse Ende Juni

Der Leipziger Oberstaatsanwalt und Pressesprecher Ricardo Schulz erklärt auf Anfrage gegenüber der LZ: „Wir können das Motiv der Homophobie derzeit weder bestätigen noch dementieren. Die Ermittlungen werden aber mit Hochdruck geführt.“

Umfangreiches Videomaterial müsse gesichtet und einige Zeug/-innen vernommen werden. Es wurden bisher keine Ermittlungen gegen die drei Beschuldigten eingestellt oder abgeschlossen. Die Untersuchungen, an denen auch die Kriminalpolizeiinspektion, Dezernat Polizeilicher Staatsschutz, beteiligt ist, könnten Ende Juni erste Ergebnisse liefern, so Schulz.

 

  1. 1. l-iz.de/melder/polizeimelder/2022/05/polizeibericht-23-mai-koerperverletzung-in-tanzbar-einbruch-in-kindertagesstaette-unfall-mit-vier-fahrzeugen-451351
  2. chronikle.org/dossiers/strukturen-der-extremen-rechten-in-und-um-leipzig