San Francisco: Polizei verwendet Robo-Autos als rollende Spione

„Autonome Fahrzeuge zeichnen ihre Umgebung kontinuierlich auf und haben das Potenzial, bei Ermittlungen zu helfen“, geht aus einem Schulungsdokument hervor.

Von Stefan Krempl

Wo Daten anfallen, wollen Sicherheitsbehörden Zugriff darauf. Dies bestätigt sich nun erneut in San Francisco, wo unter anderem die Google-Schwester Waymo und Cruise von General Motors (GM) Tests mit Robo-Autos auf öffentlichen Straßen durchführen. Deren Überwachungspotenzial hat die Polizei in der kalifornischen Metropole am Rand vom Silicon Valley bereits erkannt und für eigene Ermittlungen auch genutzt.

„Autonome Fahrzeuge zeichnen ihre Umgebung kontinuierlich auf und haben das Potenzial, bei Ermittlungen zu helfen“, heißt es in einem Schulungsdokument der Polizeibehörde von San Francisco, die das US-Portal Motherboard über eine Informationsfreiheitsanfrage erhalten und jetzt veröffentlicht hat. Die neuen Überwachungsmöglichkeiten der selbstfahrenden Spione auf Rädern haben sich die Strafverfolger demnach auch „bereits mehrfach“ zunutze gemacht.

Zu Details, wann und wie oft Fahnder bereits Aufzeichnungen aus den Robo-Taxis anforderten, äußerte sich das Polizeiamt auf Anfrage des Online-Magazins nicht. Die Einsatzmöglichkeiten sind generell groß. Diese Fahrzeuge sind ständig in meist eingegrenzten Bereichen unterwegs und mit einer Vielzahl von Sensoren ausgestattet. Dazu gehören auch mehrere Videokameras, die alles erfassen, was um sie herum geschieht. Ziel der Technik ist es eigentlich, einen sicheren Betrieb zu gewährleisten. Zugleich sollen Fälle analysiert werden können, in denen dies nicht der Fall ist.

Datenschützern sind Autos mit hochautomatisierten Fahrfunktionen schon lange ein Dorn im Auge. 2020 kam das Netzwerk Datenschutzexpertise in einem Gutachten zum Schluss, dass die Art und Weise, in der Tesla personenbezogene Informationen etwa mit seinem Model 3 verarbeitet, „in vieler Hinsicht gegen die europäischen Vorgaben“ des Daten- und des Verbraucherschutzes verstößt. Nach Ansicht der Expertengruppe dürften solche Autos „auf europäischen Straßen nicht zugelassen werden“. Acht Kameras gewährten eine 360-Grad-Rundumüberwachung der Fahrzeugumgebung in bis zu 250 Meter Entfernung. Ergänzt würden sie durch Ultraschall- und Radarsensoren.

Die Enthüllung aus San Francisco lässt daher bei Bürgerrechtlern die Alarmglocken endgültig schrillen. Es sei „sehr besorgniserregend“, dass die Polizei Robo-Autos als neue Beweisquelle rekrutiere, erklärte Adam Schwartz von der Electronic Frontier Foundation (EFF) gegenüber Motherboard. Pkws seien generell eine wahre Fundgrube an persönlichen Verbraucherdaten. Autonome und vernetzte Fahrzeuge sammelten aber noch mehr personenbeziehbare Messwerte, da sie die Details der Welt um sie herum erfassten. Nun ließen sich diese Informationen auch noch mit fest installierten Überwachungskameras im öffentlichen Raum verknüpfen.

Man müsse selbstfahrende Autos künftig als „rollende Überwachungsgeräte“ betrachten, „die bestehende weit verbreitete Spionagetechnologien erweitern“, warnte Chris Gilliard, Gastforscher am Shorenstein Center der Harvard Kennedy School. Strafverfolgungsbehörden hätten bereits Zugriff zu automatischen Kfz-Kennzeichenscannern, Aufnahmen aus elektronischen Türklingeln wie Amazons Ring sowie die Möglichkeit, Standortdaten von Mobilfunkbetreibern abzufragen oder auf dem freien Markt zu kaufen. Die neue Praxis werde die Wirkung eines bereits weit verbreiteten Netzes von Überwachungsmaßnahmen noch vergrößern.

Waymo und Cruise sind die beiden Unternehmen, die in dem Trainingsmaterial erwähnt werden. In Kalifornien haben noch weitere Firmen die Erlaubnis, fahrerlose Autos zu testen. Ein Sprecher der Google-Schwester erklärte gegenüber Motherboard, dass das Unternehmen „von Strafverfolgungsbehörden, die Informationen und Daten von Waymo anfordern, verlangt, dass sie bei solchen Anfragen gültige rechtliche Verfahren einhalten“. Sie müssten also etwa eine gerichtliche Durchsuchungsanordnung vorlegen. Zu den Firmengrundsätzen gehöre es, Anfragen anzufechten, einzuschränken oder abzulehnen, „die keine gültige Rechtsgrundlage haben oder übermäßig weit gefasst sind.“ Waymo sammele zudem keine Daten, „um Individuen zu identifizieren“.

Ein Sprecher von Cruise zeigte sich gegenüber dem Portal prinzipiell offen für Kooperationen mit der Polizei: „Wir arbeiten eng mit den Strafverfolgungsbehörden zusammen, um unser gemeinsames Ziel zu erreichen, unsere Straßen sicherer zu machen. Wir geben Bildmaterial und andere Informationen weiter, wenn uns ein gültiger Durchsuchungsbeschluss oder eine Vorladung vorliegt, und wir können freiwillig Informationen weitergeben, wenn die öffentliche Sicherheit gefährdet ist.“ Das Unternehmen habe schon immer eng mit den Kommunen zusammengearbeitet, „die wir bedienen, um den Verkehr sicherer, sauberer und zugänglicher zu machen“. Dies werde man auch künftig so handhaben.

Der Einsatz autonomer Fahrzeuge als Überwachungswerkzeuge durch die Polizei in San Francisco folgt der Praxis des Chandler Police Department in Arizona, wo Waymo seit 2017 Robo-Autos testet. In früheren Berichten dazu hieß es, dass es sich dabei um seltene Fälle von Verkehrsdelikten wie Fahrerflucht handele. Das kalifornische Dokument stellt dies in Frage.

Der dreiseitige Leitfaden gibt an sich Hinweise für die Interaktion von Beamten mit autonomen Fahrzeugen. Beschrieben werden darin grundlegende Verfahren, wie man mit den Autos interagiert. „Öffnen Sie das Fahrzeug nicht für Nicht-Notfälle“, heißt es darin etwa. Oder: „Halten Sie Fahrzeuge nicht an, es sei denn, es liegt eine legitime Strafverfolgungsmaßnahme vor“. Eine bußgeldbewehrte Verwarnung könne „zu diesem Zeitpunkt“ nicht ausgestellt werden, wenn sich keine Person auf dem Fahrersitz befindet. Stattdessen sollte ein Bericht geschrieben werden. Parkverstöße könnten geahndet werden.

Anfang April war auf einem Video eines Passanten zu sehen, wie die Polizei in San Francisco mit dem Versuch scheiterte, ein fahrerloses Auto zu kontrollieren. Ein Ordnungshüter hatte damals versucht, den Wagen von Cruise zu stoppen, weil dessen Lichter ausgeschaltet waren. Als die Ampel auf Grün springt, beschleunigt das Auto und es wirkt, als wolle es „flüchten“. Der Pkw hält allerdings kurz nach der Kreuzung am rechten Fahrbahnrand an, sodass die Beamten ihn zumindest noch von außen inspizieren konnten.

(tiw)