Leipziger Wohnheim im Visier von rechter Jugendbande? Studierende bis zur Haustür verfolgt

Bedrohungen, die sich gezielt gegen ausländische Menschen richten. Hakenkreuz-Schmierereien und verfassungsfeindliche Sticker. Im Leipziger Süden berichten Studierende von Attacken einer mutmaßlich rechten Bande. Am 10. April soll eine Demonstration auf die aktuelle Lage aufmerksam machen.
Leipzig. Im Leipziger Süden, hinter Erholungspark und Silbersee, steht ein grauer Riese aus Beton. Das hunderte Meter lange Wohnheim mit den acht Stockwerken ist Heimat für mehr als 900 Studierende aus der ganzen Welt. Doch für viele ist ihr Viertel ein unsicherer Ort geworden. Sie fürchten sich, nehmen Umwege in Kauf, um in ihre Wohnungen zu gelangen, blicken lieber zweimal über die Schulter. Was ist passiert?
Marius* lebt seit fast fünf Jahren hier in der Johannes-R.-Becher-Straße in Lößnig. Politisch aktiv war er bis vor Kurzem nicht. Doch jetzt verteilt er selbst gestaltete Flyer vor dem Supermarkt. „Nicht, weil ich Lust darauf habe, sondern weil es nicht mehr anders geht“, sagt der Anfang 20-Jährige.
Seit Jahresbeginn berichten Studierende vermehrt von rassistischen Belästigungen und Bedrohungen durch mutmaßlich rechte Jugendliche. „Lößnig war nie ein linker Kiez“, sagt Marius, „aber die Situation hat sich deutlich verschärft.“
Studierende organisieren Protest
Auch Studentin Anna* ist aktiv geworden. „Es ist unerträglich, dass sich hier einige Jugendliche so ungestört fühlen, rechte Parolen brüllen und Menschen bedrohen“, sagt sie. Es sei höchste Zeit, ihnen etwas entgegenzusetzen.
Marius, Anna und andere Studierende haben sich deshalb zusammengeschlossen und rufen am Donnerstag, 10. April, um 17 Uhr zu einer Demonstration am Moritzhof auf – unter dem Motto „Gegen Faschismus und Armut – Lößnig hält zusammen“. Sie wollen gemeinsam durchs Viertel ziehen. Verschiedene Leipziger Initiativen rufen zu dem Protest auf, darunter „Leipzig nimmt Platz“.
Die Demonstration ist bei der Polizeidirektion Leipzig angemeldet. Das Revier Leipzig-Südost werde von der Bereitschaftspolizei unterstützt, sagt Sprecherin Sandra Freitag.
Ausländische Menschen werden eingeschüchtert
Marius erzählt: „Wir erleben sogar Verfolgungen bis vor die Haustür.“ Besonders Studierende, die nicht weiß sind oder „nicht deutsch aussehen“, würden gezielt angesprochen und eingeschüchtert. Einige trauen sich nur noch durch den Hintereingang in ihre Wohnung.
Verantwortlich sei eine Gruppe Jugendlicher, vermutlich 15 bis 20 Jahre alt, die sich regelmäßig vormittags, aber auch abends, vor dem Wohnheim aufhalte. Die Identitäten seien weitgehend unbekannt – „aber mindestens zwei von ihnen gehen auf die nahegelegene Oberschule“, sagt Anna. „Es wirkt, als würden sie ihre große Pause für rassistische Pöbeleien nutzen.“
Studierende als Feindbild?
Doch damit nicht genug: Bei einem Infostand am Moritzhof im Februar, bei dem Studierende über steigende Mieten des Studierendenwerks aufklärten, sei es zu einer bedrohlichen Situation gekommen. „Eine Gruppe junger Männer bedrängte uns, schrie, wir sollen uns mit unserer linken Politik ‚verpissen‘. Außerdem behaupteten sie, Ausländer seien schuld an den Mietpreisen“, erinnert sich Marius.
Die Initiative, die Anna und Marius mitgegründet haben, will ein Gegengewicht zur zunehmenden rechten Präsenz im Viertel bilden – und die Anonymität im Wohnheim aufbrechen. Über Whatsapp-Gruppen mit mehreren Hundert Mitgliedern und regelmäßige Treffen haben sie sich inzwischen organisiert. Sie veranstalten Versammlungen, aber auch lockere Abende, verteilen Flugblätter und führen Haustürgespräche. Infos erhalten Interessierte über ihren Instagram-Kanal: „students.against.rent.increase“.
Das Wohnheim zählt zu den größten der Stadt. Es bietet Platz für 902 Studierende, die in Einzel- und Zweierapartments leben. Ein eigener Mikrokosmos, der bisher eher nebeneinander als miteinander funktionierte. Das soll sich nach Wunsch von Anna, Marius und den anderen Aktiven ändern.
Solidarität im ganzen Viertel
Wichtig ist ihnen, mit der Kundgebung nicht nur die Bewohnerinnen und Bewohner des Wohnheims zu erreichen. „Wir haben bewusst auch außerhalb plakatiert, um die Nachbarschaft einzubeziehen“, sagt Marius. Ziel sei es, ein sichtbares Zeichen gegen rechts zu setzen.
Warum sie sich all das neben Studium, Arbeit und Alltag antun? „Angesichts der Wahlergebnisse und der gesellschaftlichen Entwicklung sehe ich es als meine Verantwortung, aktiv zu werden“, sagt Anna. Marius ergänzt: „Gerade jetzt müssen wir sichtbar sein – bevor es zu körperlicher Gewalt kommt.“ Anna erinnert an die rechten Übergriffe im Lene-Voigt-Park im vergangenen Jahr. „So weit darf es in Lößnig gar nicht erst kommen.“
Zwei Tage vor der Demo meldet sich Marius und schickt ein Foto per Whatsapp. Das Bild zeigt eines der Plakate am Moritzhof. Jemand hat mit einem spitzen Gegenstand ein großes Hakenkreuz ins Papier geritzt.
(*Name zum Schutz der Person geändert)
LVZ