„Das ist Psychoterror“: Alleinerziehende Mutter aus dem Landkreis Leipzig erzählt von Stalking
Die LVZ-Spendenaktion „Licht im Advent“ sammelt Geld für das neue Frauenhaus im Landkreis Leipzig und beleuchtet in einer Artikel-Serie das Thema häusliche Gewalt – dazu gehört auch Stalking. Im Teil 4 erzählt eine alleinerziehende Mutter von vier Kindern, wie Stalking zum Psychoterror werden kann.
Landkreis Leipzig
Laut Bundeskriminalamt gab es in Deutschland im vergangenen Jahr fast 20.000 Stalking-Fälle, die polizeilich erfasst sind. Dazu gehört auch der einer Frau aus dem Landkreis Leipzig. Ihr Fall tauchte bereits 2019 in dieser Statistik auf – denn seitdem wird sie von ihrem Ex-Freund massiv gestalkt.
Mit Hilfe ihrer Beraterin Kerstin Kupfer von der Interventionsstelle gegen häusliche Gewalt und Stalking wehrt sich die allein erziehende Mutter von vier Kindern dagegen. Hier erzählt sie ihre Geschichte:
„Ich war mit ihm nur ein paar Monate zusammen. Dann hab’ ich gesagt, dass ich mich trennen will. Aber er hat das gar nicht akzeptiert. Als ich im Auto saß, hat er eine Rohrzange geholt und damit auf meine Frontscheibe eingedroschen, bis sie kaputt war. Und ich saß im Auto und hatte solche Angst. Kurze Zeit später hatte ich Rosen im Briefkasten, und er ist immer wieder zu mir gekommen. Aber ich wollte das nicht. Er hat mich dann immerzu angerufen und auf meine Mailbox gequatscht und über Whatsapp geschrieben, so hundert Mal jeden Tag.
Mit Suizid gedroht
Und wenn ich rausgegangen bin, ist er mir gefolgt. Er wusste ja, wann ich die Kinder in die Schule oder in den Kindergarten bringe. Er kannte meine Wege. Manchmal ist er mit dem Auto neben mir gefahren und hat mich vollgetextet, dass er wieder mit mir zusammen sein will. Er hat gedroht, dass er sich umbringen will. Einmal hat er sich selbst verletzt und wollte, dass ich mir die Wunde ansehe. Ich hab’ dann immer gesagt, dass ich das alles nicht will und dass er damit aufhören soll. Das hat mich völlig fertig gemacht. Ich will einfach nur meine Ruhe.
Dann hat er versucht, über die Kinder an mich ranzukommen. Da hab’ ich gedacht: Es reicht jetzt, das geht nicht mehr so weiter. Jemand hat mir gesagt, dass es da eine Beratungsstelle gibt. Seitdem berät mich Frau Kupfer. Zuerst hat sie mir gesagt, ich soll überhaupt nicht mehr auf seine Nachrichten antworten, keinerlei Kontakt. Ich hab’ mir ein anderes Handy gekauft. Das alte habe ich behalten und hab’ mir nur einmal die Woche seine Nachrichten angehört. Ich hab’ dann so eine Art Tagebuch geschrieben, was er ungefähr gesagt hat, als Beweise für die Polizei.
Anzeigen bei der Polizei
Eine Weile war Ruhe. Dann hat er mich wieder auf einem Nachhauseweg vom Kindergarten abgepasst. Ich hab’ gleich Panik bekommen und eine Frau auf der Straße angesprochen. Sie hat ihm gesagt, dass er mich in Ruhe lassen soll. Aber er ist nicht gegangen. Ich hab’ dann Frau Kupfer angerufen. Sie und eine Kollegin haben mich dort abgeholt.
Ich habe bereits mehrere Anzeigen bei der Polizei gestellt. Vom Gericht gibt es zwei Beschlüsse, die ihm verbieten, sich mir zu nähern oder mit mir Kontakt aufzunehmen. Aber er hat immer wieder dagegen verstoßen. Jedes Mal muss ich dann zur Polizei, möglichst mit Beweisen und Zeugen und Fotos. Das ist so anstrengend.
GPS-Tracker am Auto
Zweimal hat er mir einen GPS-Tracker mit einem Magnet unterm Auto befestigt. So hat er zum Beispiel rausbekommen, dass ich mit meinen Kindern am See baden bin. Dahin ist er uns gefolgt. Ich hab’ mich so erschrocken, als ich das Ding unter meinem Auto gesehen habe.
Inzwischen gab es zu meinem Stalking-Fall eine Gerichtsverhandlung. Obwohl der zweite GPS-Tracker mit seiner Handy-Nummer verbunden war, konnte ihm das Gericht nicht nachweisen, dass er ihn an meinem Auto angebracht hat. Dennoch wurde der Mann wegen Stalking mit einem Bußgeld verurteilt. Auch darf er nicht mehr in meine Wohngegend.
Extreme Belastung
Es bleibt aber eine extreme Belastung, weil er einfach nicht aufhört. Stalking kann einen ganz auffressen und nur noch die Gedanken bestimmen. Gemeinsam mit Frau Kupfer arbeite ich daran, dass ich diejenige bin, die bestimmt, wie weit er in mein Leben Einzug hält. Ohne professionelle Hilfe würde ich gar nicht klar kommen.
Zum Beispiel ertappe ich mich dabei, dass ich andere Wege gehen will, damit er mich nicht findet. Aber das ist falsch. Ich gehe meine Wege, und ich lebe mein Leben und lasse mich nicht von ihm beeinflussen. Gut sind belebte Straßen, wo ich nicht allein bin und wo es Zeugen gibt.Wieso gerade ich?
Seit drei Jahren ist das jetzt Psychoterror, und er ist erfinderisch, er lässt sich dauernd was Neues einfallen. Wegen all dieser Dinge muss ich immer wieder zur Polizei und alles melden und aufschreiben und nachweisen, weil er wieder gegen den Beschluss zum Gewaltschutzgesetz verstoßen hat. Das braucht so viel Kraft. Es ist echt schwer bei dem Ganzen, was ich ja noch so zu tun habe. Manchmal sage ich mir: Was für ein Scheiß ist das jetzt hier und wieso gerade ich? Und dann sage ich mir: Meine Kinder brauchen mich, ich muss das irgendwie hinkriegen.“
Kontakt: Koordinierungs- und Interventionsstelle gegen häusliche Gewalt und Stalking des Wegweiser-Vereins, Lange Straße 50 in Grimma, E-Mail interventionsstelle@wegweiser-boehlen.de, Telefon 03437/70 84 78, Notruf Tag und Nacht 0177/3 03 92 19