Betroffene Frauen sind oft lange leidensfähig: „Heute hat er mich nur gewürgt“

Die LVZ sammelt in ihrer Aktion „Licht im Advent“ Spenden für das neue Frauenhaus des Wegweiser-Vereins im Landkreis Leipzig. Anwältin Susanne Helweg erklärt im Interview, warum es für Frauen oft so schwer ist, sich aus gewalttätigen Beziehungen zu befreien und wie wichtig das Frauenhaus ist.

Leipzig

Oft beginnt es mit Worten wie: „Du bist nichts wert.“ Irgendwann kommt es zu körperlicher Gewalt. Es folgen nicht selten Entschuldigung und Blumen. Über den schwierigen Kreislauf häuslicher Gewalt spricht im Interview Susanne Helweg, Fachanwältin für Familienrecht.

Frage: Wie bekamen Sie Kontakt zum Wegweiser-Verein und dem Frauenhaus im Landkreis Leipzig?

Susanne Helweg: Seit 2003 arbeite ich mit im Netzwerk gegen häusliche Gewalt und Stalking. Dort lernte ich Vertreterinnen des Wegweiser-Vereins kennen und damit die Beratungsstelle sowie das Frauenhaus dieses Vereins.

Betroffene Frauen berichten oft, wie schwer es ist, sich aus einer Gewaltbeziehung zu lösen. Warum ist das so?

Das sind vielschichtige Gründe. Zum einen geht es um Scham und die Frage: Wieso passiert mir das? Viele suchen die Schuld bei sich und sagen zum Beispiel: „Ich habe nicht genau das gemacht, was mein Mann wollte.“ Betroffene haben auch wirtschaftliche Ängste, es geht um Geld und um die Wohnung und sie fragen sich: „Wohin soll ich denn dann?“ In den meisten Fällen gibt es eine Vorgeschichte, die mit Isolation und psychischer Gewalt zu tun hat.

Inwiefern?

Der Mann wird in der Regel nicht sofort zum Schläger. Das ist ein Kreislauf. Zunächst geht es oft um Worte wie: „Du bist nichts wert.“ Irgendwann kommt es zum ersten Mal zu körperlicher Gewalt. Häufig tut es dem Partner danach leid, er entschuldigt sich und schenkt ihr Blumen. Die Frauen sagen oft: „Es gibt ja auch schöne Phasen und er ist eigentlich ein guter Mensch.“ Aber dann beginnt der Kreislauf von neuem.

Und das Umfeld kann nicht helfen, weil die Frauen isoliert sind?

Ja, gewalttätige Partner verhindern oft, dass ihrer Lebensgefährtin Freunde trifft, das macht die Sache schwierig, sie haben niemanden. Dann erlebe ich aber auch mitunter eine Verharmlosung. Da sagen Leute aus dem Umfeld Dinge wie: „Ach naja, da ist dem mal die Hand ausgerutscht. Der liebt dich doch aber.“

Vertreten Sie auch Männer, die häusliche Gewalt erlebt haben?

Ja, zwar viel seltener, aber das gibt es auch. In Leipzig haben wir seit einiger Zeit auch eine Schutzwohnung für Männer.

Gestaltet sich das Problem bei Männern anders?

Bei ihnen ist die Schamgrenze viel größer und ihnen wird meist noch weniger geglaubt als den Frauen.

Was ist der Auslöser, dass sich Frau oder Mann von ihren gewalttätigen Partnern trennen?

Das ist wieder ganz verschieden. Ein Auslöser kann die Angst vor dem Jugendamt sein, das sagt: „Wenn Sie sich und die Kinder nicht schützen, müssen wir Ihnen die Kinder wegnehmen.“ Bei anderen sind es bleibende Verletzungen. Auch Gespräche mit Ärzten, Beratungsstelle oder Polizei kann der Auslöser sein. Andere wiederum kommen an einen Punkt und sagen: „Ich kann jetzt nicht mehr.“

Das kann sehr lange dauern.

Ja, oft viele Jahre. Aber auch da gibt es Unterschiede. Ich kenne Frauen, die wurden einmal ins Gesicht geschlagen und haben sich sofort getrennt. Andere – und das ist die Mehrheit – sind leidensfähig. Sie vertuschen Verletzungen mit Lügen. Sie seien die Treppe runter gefallen oder gegen eine Tür gelaufen, erzählen sie zum Beispiel. Oder es wird extrem verharmlost. Da höre ich Sätze wie: „Heute hat er mich nur gewürgt.“ Ich erkläre dann erstmal, dass das lebensgefährlich ist.

Sie befassen sich seit zwanzig Jahren mit dem Thema häusliche Gewalt. Ist es für Frauen wie Männer im Laufe der Zeit einfacher geworden, sich aus solchen kranken Beziehungen zu befreien?

Ich habe das Gefühl, dass es nicht mehr so lange dauert wie noch vor Jahren. Das hat meiner Meinung nach mit mehr Öffentlichkeit zu tun, es ist nicht mehr so ein verschwiegenes Thema. Auch das Internet hilft hier. Wer häusliche Gewalt googelt, findet irgendwo eine Beratungsstelle. Es ist jedoch leider nach wie vor ein Problem von vielen Familien.

Quer durch alle Gesellschaftsschichten?

Ja! Vor mir sitzen mitunter auch gestandene, erfolgreiche, selbstbewusste Frauen, denen genau das passiert. Und in der Gesellschaft gibt es nach meiner Erfahrung immer noch zu viele Menschen, die das Thema verdrängen und nicht sehen wollen. Aber nein: Körperliche und vor allem psychische Gewalt passiert in allen Gesellschaftsschichten.