Die versteckte Männergewalt im Privaten

Noch vor rund 60 Jahren war die Gewalt, die vielfach von Männern im Privaten ausgeübt wird, schlichtweg kein öffentliches Thema. Daran änderten erst feministische Kämpfe etwas. Ab Ende der 1960er Jahre formierte sich in vielen Ländern eine Bewegung: prominent in den USA das ›battered women’s movement‹, aber unter anderem auch im deutschsprachigen Raum die Frauenhausbewegung. Feminist*innen – oft selber (ehemals) Gewaltbetroffene – rückten die Gewalt ins Licht der Öffentlichkeit, gründeten ab 1974 Frauenhäuser, stellten Forschungsfragen und formulierten erste Entwürfe einer feministischen Gewaltkritik. Eine historisch erstmalige massenhafte Aufdeckung und Skandalisierung von Männergewalt – nicht nur im Privaten – begann. Diese Phase der Aufdeckung kann, in den Worten der feministischen Psychologin Sharon Lamb, als Geburtsstunde der zweiten Welle des Feminismus begriffen werden. Ihre Auswirkungen auf die Kämpfe in den folgenden Jahrzehnten bis heute sind kaum zu überschätzen.
Wissen über Herrschaft und Gewalt muss immer erst erkämpft werden und kann auch wieder in Vergessenheit geraten. Heute haben auch Feminist*innen mitunter nur ein ungefähres Verständnis davon, worum es sich bei sogenannter ›häuslicher Gewalt‹ handelt. Das ist fatal, weil diese Gewalt eine zentrale Stütze patriarchaler Herrschaft bildet. Ja, auch in relativ liberalen Gesellschaften und sogar in (vermeintlich) progressiven sozialen Gruppen und Bewegungen. Um die Gewalt sinnvoll bekämpfen zu können, müssen wir sie verstehen. Dieser Text soll daher grob rekonstruieren, wie Männergewalt im Privaten ab den 1970ern von Feminist*innen theoretisiert wurde.
Die feministische Kritik an Ehe und Familie
Besonders das battered women’s movement in den USA brachte eine umfassende politische Theoriebildung hervor. Männergewalt wurde dabei von Anfang an klar in ihrer geschlechtlichen und politischen Dimension benannt. Es ging um ›wife beating‹ oder ›women battering‹ – wobei ›to batter‹ sowohl ›schlagen‹ als auch ›misshandeln‹ bedeuten kann. Das erste feministische Standardwerk zum Thema hieß ›Battered Wives‹ (Del Martin 1976), ein weiteres ›Violence Against Wives. A Case Against the Patriarchy‹ (Dobash & Dobash 1979) und ein drittes ›The Battered Woman‹ (Lenore Walker [1979]). Auch die Aufdeckung der ähnlich weit verbreiteten sexuellen Misshandlung von Kindern und insbesondere von Mädchen ist maßgeblich dem battered women’s movement zu verdanken: 1981 veröffentlichten Judith Herman und Lisa Hirschman mit ›Father-Daughter-Incest‹ das erste feministische Standardwerk zum sexuellen Missbrauch von Mädchen durch ihre Väter und verorteten die Gewalt dabei klar im patriarchalen Geschlechterverhältnis.
In der Gewaltkritik der zweiten Frauenbewegung wurden Ehe und Familie nicht nur als ›Ort des Geschehens‹ beschrieben, sondern vielmehr als Teil der patriarchalen Sphäre des Privaten identifiziert, in der Männer weitgehend ungestört Verfügungsgewalt über ›ihre‹ Frauen und Kinder aufbauen, sie unterdrücken und ausbeuten können – sowohl in sexueller und emotionaler Hinsicht als auch als Arbeitskräfte. Unterstützt werden die Täter dabei auf institutioneller Ebene vom Staat, der Kirche und dem psychosozialen Sektor: Diese tragen durch Nichtstun oder sogar durch aktive Mittäterschaft dazu bei, dass männliche Verfügungsmacht im Privaten fortbestehen kann und Betroffene kein Gehör oder praktische Unterstützung finden.
Wie diese institutionelle Mittäterschaft vor 50 Jahren konkret aussah, lässt sich etwa bei Del Martin erfahren. So ist zu Beginn ihres Buches ein Brief wiedergegeben, in dem eine misshandelte Ehefrau beschreibt, wie sie wiederholt nach Hilfe sucht und immer wieder abgewimmelt wird: Ein Geistlicher empfiehlt ihr, dem Täter zu vergeben; ein Doktor will ihr Pillen gegen Nervosität verschreiben; ein zweiter Doktor fragt sie, wie sie ihren Mann provoziert habe, und ein dritter, ob sich die beiden schon wieder versöhnt hätten. Eine Freundin will gerne helfen – aber ihr Mann verbietet es. Die betroffene Ehefrau ruft die Polizei an; diese geht nicht ans Telefon, ruft dann aber nach einigen Stunden Untätigkeit zurück und fragt, ob ›sich die Dinge wieder beruhigt hätten‹. Der Brief endet mit der vorsichtigen Hoffnung der Ehefrau, ihre Ausbildung beenden zu können und einen Job zu finden, um sich auf diese Weise doch noch vom Täter unabhängig zu machen.
Es ging der feministischen Gewaltkritik also nicht um irgendeine abstrakte Unterdrückung durch ›die patriarchalen Verhältnisse‹, von der auch heute in der weitgehend männerdominierten und täterschützenden Linken immer wieder schwadroniert wird. Sondern es ging zentral um die Benennung und Analyse von konkreter Täterschaft und Mittäterschaft. Die praktische Antwort auf die Gewalt war das battered women’s movement: eine Bewegung, die sich aus dem Erfahrungsaustausch zwischen Betroffenen entwickelte und im Verlauf weniger Jahre in vielen Ländern massiv an Zulauf gewann. Diese Bewegung zielte darauf, durch kollektive politische Praxis all jene, die von Männergewalt betroffen waren, in ihrer autonomen Handlungsmacht zu stärken und ihnen ein selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen – und zwar ausdrücklich gegen die Interessen der Täter und der staatlichen und sonstigen Mittäter(*innen).
Was tun Täter?
Dabei war das feministische Verständnis von Gewalt bereits in den 1970ern erstaunlich differenziert. Zwar lag ein Schwerpunkt vieler früher Texte auf körperlicher Gewalt, dennoch wurden auch andere Aspekte beleuchtet: sexueller Missbrauch, Besitzansprüche, Isolation, finanzielle Ausbeutung, verbaler Missbrauch und weitere Formen oder Aspekte von Gewalt und Kontrollverhalten. So beschrieb etwa die feministische Psychologin Lenore Walker 1979 verbale Misshandlung und Erniedrigung als die für viele Betroffene wirksamste Form der Misshandlung.
Walker war es auch, die das Modell des ›cycle of abuse‹ entwarf und in die Debatte einführte. Das Modell wurde international breit rezipiert und bildet heute – übersetzt als ›Gewaltkreislauf‹-Modell – auch im deutschsprachigen Raum einen wichtigen Bezugspunkt in der Forschung und Praxis zu bzw. gegen ›häusliche Gewalt‹. Grob gesagt werden mit dem Modell mehrere voneinander unterschiedene und sich wiederholende Phasen der Misshandlung von Frauen beschrieben: 1. die Phase des Spannungsaufbaus, 2. die Phase offener, mitunter exzessiver Gewalt und 3. die Phase der vom Täter gezeigten Reue und Versöhnungsangebote. Damit ist ein wichtiger Aspekt der Gewalt benannt: Täter wechseln – oftmals systematisch – zwischen Leidzufügung und (emotionaler) Zuwendung hin und her. Insbesondere unmittelbar nach Gewalt-›Ausbrüchen‹ beteuern Täter Betroffenen häufig ihre Liebe, versprechen ihnen eine bessere Zukunft oder machen ihnen Geschenke. Damit bauen sie emotionalen Druck auf Betroffene auf, nicht zu gehen oder andere ernste Konsequenzen aus der Gewalt zu ziehen. Diesen Druck verstärken Täter häufig noch durch die vergeschlechtlichte Schuldzuweisungen: Als ›gute Frau‹ sei die betroffene Person verantwortlich für die Beziehung/Familie, deren Zerstörung sie aufs Spiel setzen würde, wenn sie sich trennen oder schlecht über den Täter sprechen würde. Mitunter ist es harte therapeutische Arbeit für Betroffene, diese Schuldzuweisung nachträglich zurückzuweisen.
Die ebenfalls eng mit dem battered women’s movement verbundene Psychologin Judith Herman erarbeitete aus ähnlichen (klinischen) Erfahrungen mit Betroffenen heraus die Grundlagen für eine feministisch informierte Traumatheorie ([1992]). Herman ist eine anerkannte Pionierin der Traumaforschung und Urheberin des heute weltweit verbreiteten Modells der Posttraumatischen Belastungsstörung, das sie ausgehend von ihrer Arbeit sowohl mit Betroffenen ›häuslicher Gewalt‹ als auch mit Veteranen des Vietnamkrieges entwickelte. Herman zufolge besteht ein zentraler Aspekte von Männergewalt im Privaten darin, dass die Täter systematisch die innere Verbindung von Betroffenen zu anderen Menschen angreifen – insbesondere durch Formen sexueller Erniedrigung und die damit verbundene Erzeugung von Scham und Ekel. Täter versuchen damit zu erreichen, dass Betroffene sich (als Frauen) zu wertlos, schmutzig oder fremdartig fühlen, um überhaupt noch für sich einstehen zu wollen oder zu können. Die den Betroffenen damit aufgezwungene psychisch-emotionale Not und Instabilität nutzen Täter häufig wiederum auf perfide Weise aus, um Betroffenen Linderung, Trost und Halt anzubieten – also Linderung für eine Not, die sie selber überhaupt erst erzeugt haben(!). Damit können Täter mitunter eine massive emotionale Abhängigkeit schaffen, die bis hin zu einer traumatischen Bindung reichen kann.
Sowohl das ›Gewaltkreislauf‹-Modell als auch die feministische Traumatheorie tendieren nun allerdings dazu, Gewalt und ihre Folgen auf psychische Aspekte zu reduzieren. Die Gewalt erscheint damit schnell als bloße Zufügung von Leiden, als Erzeugung von psychisch-emotionaler Instabilität oder Abhängigkeit. Besonders im ›Gewaltkreislauf‹-Modell scheint die Gewalt außerdem auf einzelne, wenngleich sich wiederholende ›Ereignisse‹ beschränkt zu bleiben: Es scheint, als werde Gewalt mal ausgeübt und mal nicht – als gebe es also Zeiträume, in denen die Betroffenen der Gewalt nicht ausgesetzt sind und in denen sie daher eigentlich die Möglichkeit haben müssten, zu gehen. Dieser Möglichkeit scheinen Betroffene im ›Gewaltkreislauf‹-Modell tendenziell seltsam passiv gegenüberzustehen.
Wie oben beschrieben, versuchen Betroffene aber häufig durchaus und wiederholt, ihre Situation zu verbessern und Unterstützung zu finden. Weder sind alle Gewaltbetroffenen im klinischen Sinn traumatisiert, noch empfinden sie alle Liebe zum Täter oder hegen falsche Hoffnungen auf ein Ende der Gewalt. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, was Betroffene in einem allgemeineren Sinn daran hindert, ein selbstbestimmtes Leben zu leben. Auf die Täter hin gewendet: Was tun Täter außerdem und in einem allgemeineren Sinn, um Kontrolle über Betroffene aufzubauen und einen Zustand zu erzeugen, in dem es für Betroffene entweder nicht möglich oder zumindest nicht vielversprechend genug erscheint, zu gehen oder andere vom Täter nicht erwünschte Konsequenzen zu ziehen?
Zwangskontrolle
Die Antwort lautet: Coercive Control. Ins Deutsche übersetzt: ›Zwangskontrolle‹ (›coercion‹ = ›Zwang‹). Es handelt sich um ein umfassendes Verhaltensmuster mit dem Ziel, in Beziehungen andauernde Dominanz und Kontrolle über andere aufzubauen. Zwangskontrolle liegt einem Großteil sogenannter ›häuslicher Gewalt‹ zugrunde und bildet gewissermaßen deren patriarchalen Kern. Zwangskontrolle kann verschiedene Formen von Gewalt umfassen: körperliche und sexuelle Gewalt, emotionale und psychische Gewalt, finanziellen Missbrauch, soziale Isolation, Stalking, Überwachung und technologie-gestützte Gewalt, reproduktiven Zwang und den Missbrauch von (sozialstaatlichen und juristischen) Dienstleistungen und Hilfeangeboten.
Interessanterweise wurden Aspekte von Zwangskontrolle in der feministischen Literatur ab den 1970ern immer wieder beschrieben und ein Stück weit theoretisiert, fanden aber als Teil eines umfassenden Verhaltensmusters in der breiteren Theorie und Praxis zu bzw. gegen ›häusliche Gewalt‹ lange Zeit nur wenig Beachtung. Der Mainstream der ›domestic violence‹-Bewegung richtete seine Fokus eher auf Fragen von (psychischer und körperlicher) Schädigung bzw. Gesundheit. Entscheidend für ein Verständnis von Zwangskontrolle ist aber nicht die Frage, wie Täter Betroffene schädigen, sondern woran sie Betroffene hindern. Diese Frage wurde im battered women’s movement der 1970er zwar gestellt und erörtert, fand aber in der sich entwickelnden feministischen Antigewalt-Arbeit keine breitere Beachtung und ging im Zuge der Professionalisierung und Institutionalisierung dieser Arbeit in den folgenden Jahrzehnten zunehmend verloren. Zumindest im englischsprachigen Raum fand Zwangskontrolle als Erklärungsansatz spätestens ab dem Jahr 2007 wieder mehr Beachtung, namentlich mit Veröffentlichung des Buches ›Coercive Control. How Men Entrap Women in Personal Life‹, verfasst vom forensischen Sozialarbeiter Evan Stark. Das Buch hat unter anderem in den USA und England wichtige Debatten und Forschung angestoßen, wurde allerdings – wie eine ganze Reihe englischsprachiger Standardwerke der feministischen Gewaltforschung – bisher nicht ins Deutsche übersetzt. Allgemein wird das Phänomen der Zwangskontrolle im deutschsprachigen Raum erst seit einigen Jahren vereinzelt in der akademischen Literatur zu ›häuslicher Gewalt‹ aufgegriffen; hier besteht also dringender Nachholbedarf.
Mit Zwangskontrolle als Erklärungsansatz lässt sich zeigen, wie zielgerichtet und systematisch viele Männer im Privaten versuchen, die Selbstbestimmung und die Handlungsmöglichkeiten ›ihrer‹ Frauen – und Kinder – zu untergraben und damit Kontrolle, Verfügungsmacht und Abhängigkeiten aufzubauen. Das allgemeinste Mittel der Kontrolle sind dabei keine offenen Akte der Gewalt, sondern im Gegenteil die Mikro-Regulation von alltäglichem, mit der stereotypen ›weiblichen Rolle‹ verbundenen Verhalten: Täter versuchen zu regulieren, wie sich Betroffene ›als Frauen‹ anziehen, kochen, putzen, soziale Bindungen eingehen, sich kümmern oder, häufig zentral: wie sie sich sexuell verhalten. Dazu setzen Täter ein System aus mehr oder weniger subtilen Belohnungen und Bestrafungen ein, um erwünschtes Verhalten zu erzwingen und unerwünschtes Verhalten zu unterbinden. Dieses System hört zwischen einzelnen Gewalthandlungen nicht einfach auf zu wirken, sondern Betroffene stehen häufig vielmehr dauerhaft unter Druck, es Tätern recht zu machen und die Grenzen des Erlaubten nicht zu übertreten.
Zwangskontrolle ist in mehrfacher Hinsicht versteckte Gewalt. Zum einen achten Täter darauf, dass von ihrer Gewalt möglichst wenig nach außen dringt. Viel ›häusliche Gewalt‹ ist aus naheliegenden Gründen im wörtlichen Sinn ›Gewalt im Haus‹: physisch abgeschirmt und verborgen durch die Wände von Häusern und Wohnungen, durch zugezogene Gardinen und geschlossene Türen. Zum anderen setzen Täter ihre Gewalt im Beisein anderer Menschen in der Regel nur in ›sozial verträglichen‹ oder kaum sichtbaren Formen ein. Ein Beispiel für solche nahezu unsichtbare Gewalt sind die kurzen Blicke, mit denen viele Täter versuchen, Betroffene in Anwesenheit anderer Menschen zu maßregeln. Diese Blicke wirken auf Außenstehende oftmals völlig unverfänglich oder werden gar nicht bemerkt, während Betroffene sie zu Recht als Warnung oder Drohung verstehen können: Nach Ansicht des Täters tun sie offenbar etwas ›falsches‹, das sie sein lassen sollen, weil sie sonst später von ihm bestraft werden.
Täter versuchen ihre Gewalt aber nicht nur vor Außenstehenden zu verstecken, sondern ein Stück weit auch vor den Betroffenen selbst. Hierzu greifen sie häufig systematisch die Wahrnehmung von Betroffenen an und versuchen die Gewalt als solche zu entnennen. Viele Täter definieren ihre Gewalt aktiv um, zum Beispiel zu ihrem persönlichen ›Tick‹, zu einem ›emotionalen Kontrollverlust‹ oder einer ›legitimen Reaktion‹ auf angebliche ›Provokationen‹ durch Betroffene. Solche Angriffe auf die Wahrnehmung und das Urteilsvermögen von Betroffenen sind für sich bereits gewaltvoll und oft fester Teil eines umfassenden Kontrollversuches.
Mit dem Konzept der Zwangskontrolle ist ein zentrales Thema feministischer Gewalttheorie klarer als zuvor beschrieben: die Unterdrückung von Frauen im Privaten und ins Private hinein. Der allgemeinste Effekt von Zwangskontrolle auf Betroffene besteht in einer Art Gefangenschaft (›entrapment‹) in der häuslichen bzw. privaten Sphäre der Familie oder Paarbeziehung, in sie sich umfassend der Erfüllung der Ansprüche von Männern verschreiben sollen. Aus dieser Gefangenschaft können Betroffene wegen der von Tätern aufgebauten Drohkulisse und wegen der systematischen Einschränkung ihrer Autonomie häufig nur schwer ausbrechen und oft auch nur eingeschränkt Hilfesignale senden. Wegen dieser wichtigen Dimension der Gefangenschaft ist Zwangskontrolle zentral als ein Verbrechen gegen die Freiheit und damit als ein genuin politisches Problem zu verstehen. Täter versuchen zu erreichen, dass Betroffene in einem umfassenden Sinn keine wichtigen unabhängigen Entscheidungen mehr treffen können – selbst wenn solche Entscheidungen in relativ liberalen Gesellschaften von den äußeren Bedingungen her prinzipiell durchaus möglich wären. Täter nutzen die patriarchale Unterordnung von Frauen also mitnichten nur aus, sondern schaffen sie in gewisser Weise überhaupt erst als persönliche Unterdrückung im Privaten. In den Worten Judith Hermans: »Versteckte männliche Gewalt erzwingt die Unterordnung der Frau und erhält sie aufrecht«.
Was tun?
Da Männergewalt im Privaten im Kern aufgezwungene Unfreiheit bedeutet, muss feministische Praxis ihren Fokus darauf legen, die Handlungsmöglichkeiten von Betroffenen möglichst auszuweiten. Einige Ansatzpunkte hierfür sind Kämpfe für günstigen Wohnraum, für die Verbesserung von Gewaltschutz-Standards oder für den Ausbau von Beratungs- und Unterstützungsangeboten. Auch in persönlichen Beziehungen und Umfeldern können wir viel tun: Wir können uns und unsere Freund*innen über typische Verhaltensweisen von Täter(*inne)n aufklären und lernen, Anzeichen von Gewalt besser zu erkennen. Und wir können uns praktische Fähigkeiten und Wissen aneignen, um (andere) Betroffene in unterschiedlichen Situationen verlässlich unterstützen zu können.
Wissen ist vielleicht noch nicht gleich Macht, aber eine wichtige Voraussetzung dafür. Eine unabdingbare Grundlage jeder feministischen Praxis gegen Männergewalt im Privaten ist ein fundiertes Verständnis dieser Gewalt selber, besonders in ihren unterschwelligen und weniger sichtbaren Formen. Um etwas sinnvolles tun zu können, müssen wir wissen, womit wir es zu tun haben – als Betroffene und als Unterstützer*innen. Diesen Text mit (hier fehlenden) Literaturverweisen sowie weitere Texte gibt es auf machtfragen.org