Ein Ausweg für Opfer häuslicher Gewalt: LVZ-Aktion hilft dem neuen Frauenhaus im Landkreis Leipzig
Das Frauenschutzhaus im Landkreis Leipzig zieht im nächsten Jahr um – und braucht dafür noch Geld. Die LVZ-Aktion „Licht im Advent“ möchte helfen. Heute Teil 1: Das Schicksal einer Betroffenen und warum das Frauenhaus eine neue Adresse bekommt
Landkreis Leipzig
Für die junge, zarte Frau ist es schwer darüber zu reden, wie ihr einstiger Lebensgefährte sie demütigte, wie er sie schlug und nach ihr trat. Sarah (Name von der Redaktion geändert) hat dennoch den Mut, ihre Geschichte zu erzählen. Über einiges kann sie nur mühsam sprechen, manchmal stockt sie, es kommen ihr die Tränen. Sarah ist eine von sieben Frauen, die derzeit mit ihren Kindern im Frauenschutzhaus im Landkreis Leipzig leben.
Sie war mit ihrem Freund neun Jahre zusammen. Als Altenpflegerin arbeitete sie in einem Heim mit demenzkranken Senioren. Ihr Lebensgefährte, gelernter Tischler, arbeitete nicht. Er hatte ein Drogenproblem. Als die gemeinsame Tochter geboren wurde, hörte er jedoch auf, regelmäßig Drogen zu nehmen. Das Leben fühlte sich einigermaßen harmonisch an, erinnert sie sich. Die kleine Familie aß regelmäßig gemeinsam, machte Ausflüge ins Schwimmbad und in den Park, war mit den Fahrrädern unterwegs.
„Es ging immer nach seiner Meinung“
Dennoch fühlte sie sich psychisch belastet: „Ich konnte nie selbst entscheiden, es ging immer nach seiner Meinung.“ Er wollte nicht, dass sie Freundinnen traf, also blieb sie zu Hause. Er selbst hatte keinen Freundeskreis, so war das Paar meinst mit der Tochter zu dritt beisammen.
Doch dann begann er wieder regelmäßig Amphetamine und Cannabis in großen Mengen zu konsumieren. Er wurde aggressiv, wenn kein Nachschub mehr im Haus war oder wenn er zu wenig Geld hatte. Er begann, Sarah zu schlagen, manchmal trat er sogar auf sie ein, sagt sie.
Besorgt wegen ihrer Tochter
„Die Gewalt richtete sich nie gegen unsere Tochter, immer nur gegen mich, aber sie hat doch alles mitbekommen“, meint die Mutter. Sie war deswegen sehr besorgt. Wenn der Kindergarten geschlossen war und sie eine Arbeitsschicht im Pflegeheim hatte, nahm sie ihr Kind oft mit zur Arbeit, weil sie es nicht beim Vater lassen wollte.
Irgendwann eskalierte die Situation. Ihr Freund trat zu Hause eine Wand ein, zerstörte eine Tür, schmiss alle Gegenstände durch die Wohnung. Sarah rief kurz darauf, als sie allein war, eine Notrufnummer an. Sie bekam Kontakt zu einer Mitarbeiterin einer Beratungsstelle gegen häusliche Gewalt, mit der sie in den nächsten vier Monaten immer wieder telefonierte.
Hilfe durch einen Anruf
Diese Frau sagte zu ihr: „Es gibt einen Weg aus dieser Situation und Menschen, die Ihnen helfen werden.“ Sie warte auf ein Signal von Sarah, dass sie dies möchte. Auf ihr Anraten packte die junge Frau heimlich zu Hause eine Tasche mit persönlichen Dokumenten und Kleidung.
„Ich war aber bis zum Schluss so unsicher, ob ich gehen soll, ob ich es alleine schaffe. Ich hatte gar kein Selbstbewusstsein mehr“, sagt sie. „Ich habe ihn ja auch mal geliebt und ich wollte ihm helfen.“ In klaren Momenten weinte der Mann, sagte, dass er nicht mehr kann.
Mit dem Zug ins Frauenhaus
Nach Jahren mit psychischer und später auch körperlicher Gewalt war Sarah eines Morgens so erschöpft, dass die zu ihrer Chefin im Pflegeheim sagte: „Ich kann nicht mehr!“ Dann ging alles schnell. Die Leiterin der Kindertagesstätte brachte die Tochter zu ihr ins Heim. Die Frau von der Beratungsstelle besorgte einen Platz in einem Frauenschutzhaus im Landkreis Leipzig fern ihrer Heimat und kaufte Zugfahrkarten. Die schon gepackte Tasche wurde abgeholt.
„Als wir im Zug saßen, war es beklemmend“, erzählt Sarah. „Es ist komisch, alles so zurück zu lassen.“ Etwas Erleichterung verspürte sie erst, als eine Betreuerin des Frauenhauses sie lächelnd vom Bahnhof abholte. „Aber ich hatte auch Angst und hab’ mich gefragt: Was mach’ ich denn nur jetzt?“, erinnert sie sich.
Bald in eine eigene Wohnung ziehen
Nach Monaten im Frauenhaus geht es ihr heute besser, „wir haben Ruhe und Hilfe gefunden, meine Tochter ist richtig aufgeblüht, was so schön ist“. Bald wird sie mit ihr in eine eigene Wohnung ziehen, eine Arbeit als Altenpflegerin zu finden wird kein Problem sein. „Die Pläne und Ziele sind groß, aber die Angst ist doch immer noch da“, sagt Sarah.
Sie gehört zu den rund 150.000 Opfern häuslicher Gewalt, die derzeit pro Jahr in Deutschland erfasst werden. Zwei Drittel davon sind Frauen, ein Drittel Kinder und Männer.
Eigene Immobilie für Schutzhaus
Ein Schutzhaus für Frauen und Kinder, dessen Adresse nicht öffentlich bekannt ist, gibt es im Landkreis Leipzig seit 1995. Betrieben wird es vom Wegweiser-Verein mit Sitz in Böhlen. Der Verein war damals mit diesem Projekt ein Vorreiter im Osten Deutschlands. Psychisch, körperlich und sexuell misshandelte Frauen können seitdem dort Schutz finden. Heute steht der Verein wieder in der ersten Reihe, wenn es darum geht, ein neues Frauenhaus als eigene Immobilie zu erwerben.
Erstmals möglich ist dies mit dem Bundesinvestitionsprogramm „Gemeinsam gegen Gewalt an Frauen“. Damit kann ein Trägerverein eine Immobilie kaufen – die Wegweiser-Akteure haben den Schritt gewagt, der Kaufvertrag ist unterschrieben.
Viel Öffentlichkeit für Thema häusliche Gewalt
„Wir können in dem neuen und viel größeren Haus inhaltlich ganz anders arbeiten“, sagt Kerstin Kupfer aus dem Vereinsvorstand. Seit 26 Jahren leitet die Sozialpädagogin das Frauenhaus – an bislang drei verschiedenen Standorten – in der hiesigen Region. Aktuell gehe es dort beengt zu, nicht alle Betroffenen können aufgenommen werden.
In der Pandemie-Zeit bekam das Thema häusliche Gewalt eine große Öffentlichkeit, es flossen mehr Gelder als je zuvor. „Wir haben uns gesagt, solch eine Chance und so eine Förderung bekommen wir nie wieder“, meint die 57-Jährige.
Gewaltiger Kraftakt
Doch es ist „ein gewaltiger Kraftakt“. Die gekaufte Immobilie sei zwar in einem guten Zustand, muss aber um- und ausgebaut werden. 90 Prozent der Gesamtkosten werden über das Bundesprogramm gefördert, die übrigen zehn Prozent – immerhin 130.000 Euro – stammen aus Eigenmitteln des Vereins und Fördermitteln des Landes Sachsens.
„Was wir bislang noch gar nicht abgedeckt haben, ist der Umzug bei laufendem Betrieb, der teuer und aufwendig werden wird“, sagt Kerstin Kupfer. Auch was Extra-Ausstattung betrifft, gibt es einige Wünsche, die Grundausstattung im Gebäude werde gefördert. „Wesentlich sind aber die Umzugskosten. Wir brauchen mindestens 7000 Euro, die wir derzeit nicht haben“, so die Leiterin. Die LVZ-Aktion „Licht im Advent“ möchte dafür in diesem Jahr Spenden sammeln.