Input I: „Der Mann in unseren Köpfen“ – zur Krise des Feminismus

#
Veröffentlicht mit Input II auf: https://exil.noblogs.org/post/2023/09/20/der-mann-in-unseren-koepfen-zur-krise-des-feminismus/
#

Input I:
„Der Mann in unseren Köpfen“ – zur Krise des Feminismus

Feminismus boomt: Es ist wieder chic sich als Feministin zu bezeichnen, feministische Diskussionsveranstaltungen sind gut besucht, (queer-)feministische Kneipen und Partys beliebt und am 8. März gehen selbst in Münster Hunderte Menschen auf die Straße: Männer, Frauen und auch queere Personen, die sich keinem der beiden Geschlechter zuordnen.

Und doch: All das kommt uns zunehmend langweilig vor und uns beschleicht das Gefühl im Kampf gegen das Patriarchat, beim Aufbau einer feministischen Bewegung, ja selbst in den kleinen Schritten, die sich daraus ergeben, nämlich bei der Thematisierung patriarchaler Machtstrukturen in der Linken oder dem Umgang mit sexualisierter Gewalt, seit Jahren nicht weiterzukommen.

Ein Indiz dafür wäre für mich die aufkommenden Langeweile beim Lesen von Aufrufen und die damit einhergehende (selbstkritisch gewendet) Unfähigkeit selber einen Aufruf vorzuschlagen, zu entwerfen, der anders wäre: neu, anstößig, aufregend, streitbar. Stattdessen wiederholen wir seit Jahren ständig die gleichen, richtigen Punkte: Gender Pay Gap, Anerkennung diverser sexueller Identitäten, Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen, Anerkennung der Reproduktionsarbeit. Das ist alles nicht falsch, gegen keine dieser Forderungen ließe sich inhaltlich etwas einwenden, und doch: In so einer Politik der korrekten allumfassenden Forderungen erstickt jegliche Leidenschaft für feministische Anliegen.

Das bestätigt sich für mich darin, dass es zu den brennenden Themen der letzten Jahre wie Corona (rühmliche Ausnahme waren hier die Texte von Tove Soiland und einigen anderen Frauen im nd; hier war allerdings die Rezeption bezeichnend: kein offener Widerspruch, aber denunziatorische Kampagnen, Querfrontvorwürfe), Krieg in der Ukraine, Aufstieg der Grünen und globale Aufstände kaum feministische Beiträge in der BRD gab, die Sprengkraft und Kontroversen entfaltet hätten (auch hier die selbstkritische Wendung: wieso schaffen auch wir es nicht solche Beiträge zu produzieren?). Besonders bei Corona und Krieg hat es die feministische Bewegung trotz gegensätzlicher Positionen nicht geschafft einen produktiven Streit zu führen. Das ist deswegen dramatisch, weil hier Themen auf dem Tisch sind, an denen der Feminismus eigentlich nicht vorbeikommt: Wie ist ein feministischer Blick auf Krieg, Militär, was ist feministische Solidarität? Oder auch Gesundheits- und Körperpolitiken?

Dass wir es nicht schaffen, in all diesen Bereichen spannend, vorwärts weisende Diskussionen zu führen, verbindet sich damit, dass wir keinen wirklichen konsequenten Umgang mit dem Mainstreamfeminismus und einem grünen Feminismus finden. Vielmehr wir dieser mal als Chance gesehen Anschlussfähigkeit zu behalten, dann wieder kritisiert, wobei die Kritik aber meist im Identitären stecken bleibt oder rein moralisch die Heuchelei der Grünen kritisiert, aber nicht die Funktion dieser Form des Feminismus für das gegenwärtige Herrschaftsprojekt aufarbeitet. Diese könnte uns aber deutlicher werden, wenn wir z.B. die Texte von Baerbock zur feministischen Außenpolitik studieren würden. Das macht aber keine(r).

Ein weiteres Problem ist ein Missverständnis um die Bedeutung der alten Parole „Das Private ist politisch“, die immer noch gilt: wie wir unseren Alltag leben, lieben, fühlen, über Ernährung, Freundschaft, Wohnen, Sex, Konsum denken ist nicht einfach unsere private Wahl, sondern zeigt strukturell etwas von dem auf, wie unsere Gesellschaft politisch, ökonomisch und ideologisch funktioniert und wie sie uns darin subjektiviert. Das Missverständnis aber wäre eine Unmittelbarkeit hier hineinzulegen, wie ich lebe, meine Befindlichkeit etc. sei unmittelbar politisch, und insofern müsse sich Politik an meiner Subjektivität messen lassen.

Der Unfähigkeit einen wirklich revolutionären Ansatz des Feminismus zu entwickeln, der was anderes wäre als die Reproduktion des Elends des bürgerlichen Feminismus, der für das Herrschaftsprojekt des Grünen Akkumulationsregimes und seiner Eliten völlig funktional ist, entspricht eine Langeweile und Zahnlosigkeit unserer Aktionen. Auch hier korrespondieren Theorie und Praxis in unguter Weise miteinander: langweilige Latschdemos dominieren das
Bild, der Frauenstreik wurde zwar appellativ ausgerufen, hat aber in der
BRD keine wirklich spannenden, neuen Aktionsformen hervorgebracht.
Stattdessen erklären wir uns in unseren Redebeiträgen tot, weil wir so wenig zu sagen haben. Unsere Slogans treffen nicht den Punkt, den Herrschaft heute ausmacht: „Ehe, Küche, Vaterland…“ – fühlen sich die Frauen wirklich heute davon beengt? Sie können doch auch jenseits der Ehe leben, Essen kaufen statt selber kochen, und kosmopolitisch statt national eingeengt leben? Ist das wirklich die Sklaverei, die uns selber, unsere Mütter, Schwestern, FreundInnen, KommilitonInnen, KollegInnen heute noch gefangen hält? Protestieren wir da nicht nostalgisch gegen eine Welt der Vorstadtsiedlung der 1950er Jahre, die es heute lange nicht mehr gibt?
„Kein Gott, kein Staat, kein Patriarchat“? Sind es wirklich noch Gott und Kirche, von denen wir selbst und unsere FreundInnen sich den Alltag vorgeben und strukturieren lassen?
Das führt uns zum Kern der Sache: gegen wen und was wollen wir denn feministisch aufbegehren? Wer und was macht das Gefängnis aus, in dem wir stecken? Weil wir darauf keine Antworten finden, die uns rational und affektiv gleichermaßen überzeugen, schwanken wir ständig zwischen einem Feminismus, der die eigene Subjektivität zum Ausgangspunkt hat und der Anrufung der Massen, wobei beide Ansätze nicht konsequent ausbuchstabiert werden.
Wahlweise reden wir davon anerkannt zu werden (von wem denn eigentlich? Von dieser Gesellschaft? Aber wollten wir die nicht mal hassen, weil wir sie revolutionieren wollen? Aber nein…eine Frau, wir Frauen hassen ja nicht, wir sind nett, verständnisvoll, freundlich, wir sorgen füreinander, für andere).

Es sind die gängigen Stränge des Feminismus heute, die uns aus dieser Misere kaum einen Ausweg finden lassen, ja, sie in unseren Augen immer weiter vertiefen. Da gibt es zum einen den an Identitätsfragen orientierten Queerfeminismus. Angetreten ist er einst damit, Fragen der (Geschlechts-)Identität zum Ausgangspunkt der Politik zu machen und damit die Frage nach dem Kollektivsubjekt, auf das sich der Feminismus bezieht, zu radikalisieren. Heute verendet queere Politik meist in Identitätsfragen, in dem Ringen um Anerkennung pluraler Geschlechtsidentitäten, das zumeist auf der symbolischen Ebene verbleibt. Schlimmer noch: die Queerdebatte, so wie sie gerade in politischen Kreisen (nicht) geführt wird, schafft eine Atmosphäre der Angst, der Verdächtigungen.
TERF-Vorwürfe und Queerfeindlichkeit lähmen einen kritischen, kontroversen Diskurs bzw. holen ihn auf moralische Ebene (das ist das Problem, nicht dass der Diskurs emotional sei, wie es feministischen Diskursen ja manchmal vorgeworfen wird). Hinter der moralischen Pflicht niemanden zu verletzen, verschwinden die Auseinandersetzungen um das Kollektivsubjekt Frau und dessen gegenwärtige ideologische Konstruktion und Zurichtung. Es fehlt zugleich aber auch eine wirkliche Beschäftigung mit der sexuellen Diversität und ihrer gesellschaftlichen Bedeutung in der gegenwärtigen Gesellschaftsformation. Radikale Dekonstruktion verkommt letztlich zu Ontologisierung von Geschlechtsidentitäten (ich bin das, was ich euch sage, dass ich bin; dagegen darf es keinen Einwand geben), die jede Dialektik zwischen Individuum und Gesellschaft negiert.

Anders als es die Psychoanalyse aufzeigt, scheint für die Einzelnen ihre Identität plötzlich unmittelbar plausibel und ist damit nicht als gesellschaftlich vermittelt kritisierbar. Jeder Diskurs darüber birgt dann die Gefahr narzisstischer Kränkung.
Daraus entsteht eine Hierarchie der Unterdrückten, der Opfer. Opfer sein ist dabei eine machtvolle Position, weil sie einen Täter erschafft und diesen mit Schuld belädt. Über die Schuld des anderen zu regieren, gibt uns eine Form der Macht über ihn. Diese Form der Macht ist aber keine emanzipatorische, sie verstrickt uns tiefer in den Fängen patriarchaler Herrschaft.

Interessanterweise korrespondiert der Queerdebatte am besten die Antidiskriminierungspolitik. Selbst im städtischen Gleichstellungsbüro und bei Podien des Kirchentags stellen sich die Leute mit Pronomen vor. Man hat fast den Eindruck, dass sich als gesellschaftlich hegemonial zunehmend eine Ideologie durchsetzt, die besagt: Du kannst sein, was du willst, aber du muss dein Selbst lieben, mit ihm identisch sein. Das klingt nach Freiheit, ist aber eine besonders subtile und totale Form des Zwanges.

Als Ausweg aus der Misere erscheint in manchen linken Kreisen dann die Besinnung auf „die gute, alte Zeit“, in dem Fall „Feminismus als Klassenpolitik“: Das Problem ist, dass solch eine Eingrenzung feministischer Fragen auf ökonomische oft dazu führt, dass hier der Zugang zu Subjektivität und Erfahrung ausgespart wird. Wir Frauen werden auf eine Klassenposition festgelegt. Darin aber liegt die Gefahr einer Neuauflage des Nebenwiderspruchdenkens und auch der Erstarrung in Sozialdemokratie: Indem wir Anerkennung der Reproduktionsarbeit oder mehr Lohn wollen, bleiben wir bei Anerkennungskämpfen, finden aber auf dieser rein ökonomisch beschränkten, verkürzten Ebene keinen Ansatzpunkt, von dem wir ein Begehren des Jenseits dieser kapitalistisch-patriarchalen Verhältnisse finden. Wir blicken dann auf die am meisten unterdrückten Frauen: bei Lidl an der Kasse oder in den Putzkollonen und vergessen zu fragen, ob wir denn auch selber der Befreiung bedürfen und was uns mit diesen Frauen verbindet.

Grundthese wäre also: Den Feminismus des 21. Jahrhundert müssen wir erst noch erfinden, die feministische Revolution muss vorbereitet werden.

Dafür braucht es einer Analyse dessen, was heute patriarchal-kapitalistische Verhältnisse ausmacht. Die Schwierigkeit besteht dabei darin, dass sich dieses vielmehr als Herrschaft der Dinge, denn als Herrschaft von Personen darstellt. Daher ist es verfehlt, die weißen alten Männer und den Kampf gegen ihre Vorherrschaft in den Mittelpunkt zu stellen. (Was nicht ausschließt feministisch zu reflektieren, wie wir uns eigentlich auf Männer beziehen. Moralisieren ist dabei, das können wir von der Psychoanalyse lernen, wenig hilfreich, genauso wenig wie Verhaltensschulung und -normierung. Es geht darum zu verstehen, wieso die Dinge sind wie sie sind. Daraus kann Befreiendes entstehen.)
Für die Freisetzung dessen in uns, subjektiv und kollektiv, was nach Befreiung sucht, braucht es Streit, die Reflexion unserer Erfahrungen, mit wem sie uns verbinden, von wem sie uns trennen. Wir müssen anfangen zu suchen, mit wem wir das Gefängnis eigentlich stürmen können und wer, vielleicht auch unbewusst, dort neue Gitterstäbe einbaut, ja wann und wie wir es vielleicht selbst tun.