Positionierung zum 8. März 2024 und feministischer Bündnisarbeit
In diesem Text wollen wir, der Feministische Streik Leipzig, zu den Dynamiken rund um die Organisation des 8. März 2024 Stellung nehmen. Außerdem soll es darum gehen, mit welchen Herausforderungen wir uns hinsichtlich der innerlinken Konflikte bei unserer lokalen Politarbeit aktuell konfrontiert sehen. Neben unserem Selbstverständnis stellt dieser Text eine Grundlage für einen Mindestkonsens für künftige Bündnisse dar.
Uns ist bewusst, dass der Text zum Teil sehr hochschwellig formuliert ist und Vorwissen über innerlinke Debatten voraussetzt. Falls ihr dazu Fragen oder Unklarheiten habt, meldet euch gerne bei uns.
Wir verstehen uns als materialistisch-queerfeministische Gruppe. In unserer politischen Arbeit stehen Anschlusspunkte für emanzipatorische, queerfeministische und antikapitalistische Ansätze im Vordergrund. Als Gruppe nutzen wir dabei verschiedene Aktionsformen und machen ganzjährig Bildungs- und Vernetzungsarbeit. Wir verstehen Feminismus als Kampf gegen das Patriarchat, das Menschen aufgrund ihrer Geschlechtsidentität oder Sexualität strukturell unterdrückt. Diese Unterdrückung ist eng mit der kapitalistischen Produktionsweise verknüpft, die für die un(ter)bezahlte Reproduktion von Arbeitskraft sorgt. Dabei ist uns wichtig, dass Feminismus nicht instrumentalisiert wird und zum Nebenwiderspruch verkommt, sondern zentraler Ausgangspunkt unserer politischen Praxis ist.
Unser Feminismus ist intersektional, das heißt, wir erkennen die Vielschichtigkeit von Unterdrückung an und kritisieren jede Form von Diskriminierung. Für uns steht die Kritik an Herrschaftsverhältnissen und -systemen im Mittelpunkt, welche für viele Menschen allgegenwärtige Diskriminierung und Unterdückung bedeuten. Wir sehen unseren Feminismus in der Tradition antikapitalistischer Utopien, die Selbstverwaltung und -bestimmung in Produktion und Reproduktion fordern. Diese Utopien können nur mit der Auflösung des Geschlechtersystems und dem Kampf für körperliche und reproduktive Selbstbestimmung verwirklicht werden.
Wir streben nach einer Gesellschaft, welche Menschen zu einer emanzipatorischen und kritischen Auseinandersetzung mit den Verhältnissen befähigt, um diese letztendlich transformieren zu können.
Der Feministische Streik Leipzig organisierte seit 2018 als loses Bündnis den 8. März in Leipzig. 2021 haben wir uns ausgehend von dieser Bündnisstruktur, die hauptsächlich von Einzelpersonen getragen wurde, als Gruppe gegründet und unseren Fokus auf eine ganzjährige feministische Arbeit gelegt. Weil die Gruppe personell und strukturell direkt aus dem Bündnis hervorging, haben wir den Namen und damit auch die Kommunikationskanäle behalten. 2022 initiierten wir mit anderen Gruppen und Einzelpersonen ein neues Bündnis, das 8M Bündnis, welches seither unter diesem Namen eine Demo zum 8. März organisiert. Dieses Bündnis hat sich auch zum 8. März 2024 zusammengefunden. Wir als Gruppe hatten uns in diesem Jahr bereits in der Anfangsphase zurückgezogen und waren im Verlauf nicht an der Orga beteiligt. Neben Kapazitätsgründen und anderen Schwerpunktsetzungen in unserer Arbeit, spielte dabei vor allem die Zusammensetzung des Bündnisses und die darin vertretenen autoritären sog. Kader-Gruppen eine Rolle.
Die Gründe, warum dies für uns ein Ausschlusskriterium darstellt, liegen vor allem in ihrer ideologischen Ausrichtung. Die politische Ausrichtung sogenannter Kader-Gruppen kennzeichnet sich durch die Anwendung und Rechtfertigung autoritärer Mittel zur Erreichung ihrer Ziele. Auch wenn sie dadurch kurzfristig Erfolge versprechen, verfestigen diese Vorgehensweisen langfristig althergebrachte Formen von Herrschaft und erzeugen neue Dominanzstrukturen. Die kürzlich hervorgebrachten Vorwürfe von patriarchaler Gewalt und Täterschutz in FKO und KA zeigen dies beispielhaft [1]. Während sexualisierte Gewalt zwar überall stattfinden kann, begünstigen hierarchische Strukturen diese Gewalt und den Schutz der Täter*innen. Klar ist: Die Freiheit von Unterdrückung muss nicht nur das Ziel, sondern auch Teil des Weges dorthin sein. Denn, wie die Geschichte zeigt, kann die Unterordnung des feministischen Kampfs unter den Klassenkampf und eine vermeintliche Auflösung des Patriarchats im Hauptwiderspruch nicht erfolgreich sein. Eine Überwindung des Kapitalismus beinhaltet nicht automatisch die Überwindung des Patriarchats. Auch die Auftrennung des feministischen Kampfes in einen Kampf von queeren Menschen auf der einen und Frauen auf der anderen Seite, ist nicht mit unserem Grundverständnis vereinbar. Denn das binäre Geschlechtersystem ist inhärenter Teil patriarchaler Unterdrückung und gehört aufgelöst. Zuletzt spielte in unserer Entscheidung auch eine Unvereinbarkeit in der Positionierung zum Nahost-Konflikt eine Rolle, dazu später mehr.
Bezogen auf den 8. März 2024 haben wir uns also bewusst gegen eine Zusammenarbeit mit dem Bündnis entschieden und stehen zu dieser Entscheidung. Gleichzeitig sehen wir den Prozess der Abgrenzung zum 8M Bündnis, auch von unserer Seite, als kritisch. Der Prozess war von unzureichender Kommunikation und Unklarheiten geprägt, welche erst zu einem späteren Zeitpunkt in persönlichen Gesprächen Raum fanden. Stattdessen haben wir zur Demo des intersektional-feministischen Kampftages, sowie zur Kundgebung für einen emanzipatorischen 8. März aufgerufen. Idealerweise hätten wir uns ein breiteres Bündnis gewünscht, was eine diversere Gestaltung einer gemeinsamen 8. März Demonstration möglich gemacht hätte. Dafür hätte es eine Auseinandersetzung mit den genannten Konfliktlinien gebraucht, um über die unterschiedlichen Haltungen in Aushandlungen treten zu können, ohne dabei eigene rote Linien zu überschreiten und unverhandelbare Ideale für eine vermeintliche „Einigkeit“ aufzugeben.
Dieser Text ist in unserer Auseinandersetzung im Nachgang des 8. März 2024 entstanden und soll eine Grundlage bieten, um zukünftig unsere roten Linien besser benennen und damit in Aushandlung mit anderen Gruppen treten zu können.
Dazu gehört auch unsere Haltung zum Nah-Ost Konflikt, da sich darüber aktuell viele Bündnisse finden bzw. daran scheitern.
Wir als Gruppe solidarisieren uns weder mit der Kriegsverbrechen ausübenden israelischen Regierung, noch mit islamistischen Terrororganisationen wie der Hamas. Uns geht es nicht darum, uns auf „eine Seite“ zu stellen, sondern wir verurteilen die Unmenschlichkeit der Verbrechen und solidarisieren uns mit und betrauern alle zivilen Opfer in Nahost.
Im Weiteren möchten wir uns vor allem zu der herrschenden innerlinken Debatte äußern, da wir auf diese Dynamiken als Teil der aktivistischen Linken aktiv Einfluss nehmen können.
Seit dem 7.10.23 begegnet uns ein steigendes Ausmaß an Antisemitismus, welches wir kritisieren und nicht hinnehmen wollen. Im Rahmen pro-palestinensischer Demonstrationen kommt es immer wieder zur Verherrlichung des 7. Oktobers als antikolonialen Befreiungskampf oder der Verwendung von roten Dreiecken als symbolische Markierung „feindlicher Ziele“, sowie weiteren antisemitischen Aussagen und Handlungen bis hin zu Morddrohungen. Wir empfinden dies als erschreckend und stellen uns klar gegen jede Form von Antisemitismus.
Auch anti-muslimischer Rassismus erfährt einen großen Anstieg innerhalb eines rassistischen gesellschaftlichen Diskurses, zum Beispiel in bürgerlichen Debatten über vermeintlichen „importierten Antisemitismus“. Dabei wird das Aufzeigen von Antisemitismus für konservativ und rassistisch motivierte Inhalte instrumentalisiert und das Stereotyp antisemitischer Muslim*innen verschärft.
Pro-palestinensische Proteste erfahren außerdem ein krasses Ausmaß an Polizeigewalt, weil sie sowohl als links als auch migrantisch wahrgenommen werden. Diese staatlichen Repressionen sind immer zu kritisieren. Gleichzeitig findet eine deutliche Dethematisierung des Leidens der palestinensischen Zivilbevölkerung und eine Normalisierung des Kriegszustandes in Teilen der israelsolidarischen Linken statt.
Innerhalb der Linken beschäftigt uns in den letzten Monaten darüber hinaus die häufig einseitige moralisierende Perspektivübernahme und selektive Solidarität. Solidarität mit Palestina oder Israel werden als binäre und unvereinbare Standpunkte aufgemacht, bei denen Ambivalenzen und Widersprüche hinter schwarz-weiß Denken verschwinden.
Dies zeigt sich in einem zunehmend verrohten und hasserfülltem Diskurs, welcher von Diffamierungen, Shitstorms und Sabotage von selbstverwalteten Strukturen geprägt ist. Darunter leiden wir selbst als linke Bewegung, während marginalisierten Gruppen in Deutschland und denen in Nah-Ost noch weniger geholfen ist als sowieso schon. Diese innerlinken Grabenkämpfe binden wichtige Ressourcen und schwächen unsere Arbeit, während letztlich etablierte Herrschaftsstrukturen und rechte Kräfte gestärkt werden.
Denn im aktuellen politischen Klima, in dem rechte Ideologien immer weiter an Stärke gewinnen, sollte es für uns als aktivistische Linke von entscheidender Bedeutung sein, unsere gemeinsame Handlungsfähigkeit zu bewahren und weiter auszubauen. Gemeinsam müssen wir für eine solidarische und gerechte Gesellschaft einstehen und diese im Rahmen unserer Möglichkeiten gestalten. Unser gemeinsamer Kampf muss sich dabei immer und überall gegen jede Form von Unterdrückung und Diskriminierung richten.
Wir streben danach, unsere Kräfte gegen die aktuell herrschenden Zustände zu bündeln, anstatt uns in einer Dauerbeschäftigung der Linken mit sich selbst zu verausgaben. Destruktive Praktiken wie Ausgrenzung und politischer Verriss aufgrund von Kontaktschuld sind viel zu selbstverständlich geworden. Aktuell gibt es große Hemmnisse, Bündnisse zu bilden, weil diese allzu oft so verstanden werden, als würden die Akteur*innen alle inhaltlichen Punkte miteinander teilen. Wir müssen uns gegenseitig zutrauen, zwischen einem themebezogenen Mindestkonsens und deckungsgleichen Positionen zu unterscheiden, ansonsten wird politische Zusammenarbeit verunmöglicht.
Wir sprechen uns gegen selektive Solidarisierungen in einer Welt multipler Herrschaftsverhältnisse aus, denn es gibt keine einfachen Lösungen für komplexe gesellschaftliche Zusammenhänge. So anstrengend es auch ist, müssen wir die Dynamik der Diskussion und uns selbst ständig hinterfragen und Widersprüche und Ambivalenzen aushalten. Einseitige Einteilungen in Gut und Böse erklären nicht hinreichend die gesellschaftliche Realität und führen dazu, dass Leid aberkannt oder gegeneinander ausgespielt wird.
Gegenseitige Kritik ist ein wichtiges Instrument, das wir annehmen und als Möglichkeit zur Reflexion nutzen sollten, nicht um uns gegenseitig zu diffamieren. Nicht alle Konfliktlinien oder Differenzen können überbrückt werden, Unterschiede sollten dennoch versucht werden ausgehandelt- oder zumindest ausgehalten zu werden. Um nicht alle subkulturellen linken Strukturen und Räume zu zerstören, müssen wir aufhören uns gegenseitig als die feindlichste Gruppe zu markieren.
Stattdessen wünschen wir uns einen integrativen und andauernden Bildungsaustausch, bei welchem Moral- und Dominanzverhältnisse aufgebrochen werden.
Die beschriebenen Dynamiken waren auch am 8. März 2024 erkennbar.
Der 8. März ist ein Tag des kraftvollen und vereinten Protests, der zeigen soll, dass der Kampf für Gleichberechtigung und gegen patriarchale Strukturen noch lange nicht vorbei ist. Die Befreiung vom Patriarchat darf keine Nebensache sein, oder instrumentalisiert werden. Das Patriarchat ist ein zentrales Unterdrückungssystem, das unsere Gesellschaft durchzieht und sich in den verschiedensten Gewaltformen niederschlägt.
Um unsere Forderungen zum 8. März und auch an anderen Tagen kämpferisch auf die Straße zu tragen, bedarf es einer breiten Beteiligung feministischer Gruppen in einem Bündnis, welches die verschiedenen Kämpfe gegen das Patriarchat in den Fokus nimmt.
Wir freuen uns, dass ihr unsere Position bis hierhin gelesen habt. Wir beanspruchen hiermit keine Vollständigkeit oder Deutungshoheit. Unsere Position ist sicherlich stellenweise lückenhaft und kann sich verändern. Sie stellt einen Gruppenkonsens dar, der sich aus verschiedenen Einstellungen der einzelnen Gruppenmitglieder ergibt und in einem andauernden Auseinandersetzungsprozess als Gruppe entstanden ist. Wir sind offen und freuen uns über solidarische Kritik und einen konstruktiven Austausch. Meldet euch dafür gerne hier: femstreik_leipzig[at]riseup.net
[1] https://www.instagram.com/stoppt_taeter?utm_source=ig_web_button_share_sheet&igsh=ZDNlZDc0MzIxNw==https://www.nd-aktuell.de/artikel/1179895.autoritaer-kommunistische-gruppen-neue-k-gruppen-die-avantgarde-von-vorgestern.html
https://basisgruppe-antifa.org/wp/2024/07/05/thesen-ueber-die-autoritaere-linke/
https://www.woz.ch/2429/queerfeministische-solidaritaet/der-groessere-fehler-waere-zu-schweigen/!5TYWBRFHKYQN?