„Militarisierung“ an der Schule? – Zoff um Bundeswehrbesuch an Leipziger Gymnasium
Bundeswehrsoldaten besuchen Schulklassen, sprechen vor Jugendlichen über ihre Arbeit und die Aufgaben der Armee. Was ein relativ normaler Vorgang sein sollte, sorgt an einer Leipziger Schule für reichlich Unruhe. Ein Schüler hatte einen Protest gegen den Besuch initiiert – und muss nun mit Konsequenzen rechnen.
Es ist eine Zeile, die direkt aufhorchen lässt: „Schüler droht Suspendierung“ ist die E-Mail überschrieben, die die LVZ-Redaktion der vergangenen Woche erreichte. Weil er gemeinsam mit anderen Schülern einen Protest gegen einen geplanten Bundeswehrbesuch an seiner Schule organisierte, solle ein Jugendlicher erst für einen Tag vom Unterricht ausgeschlossen werden und ihm anschließend mit einem Schulverweis gedroht worden sein, heißt es.
Die Vorwürfe in Richtung der Schulleitung haben es in sich: Von Unverhältnismäßigkeit und skandalösem Verhalten ist die Rede. Schüler, die ihre politische Meinung äußerten, würde kurzerhand mit Konsequenzen gedroht, die von der Schule gepriesene „Anregung und Entwicklung von kritischem Denken“ gelte nur solange, bis es den Überzeugungen der Schule widerspreche. Starker Tobak – doch was ist dran an dem Fall?
Video zeigt Protest an Leipziger Gymnasium
Versandt wurde die E-Mail im Auftrag der Leipziger Ortsgruppe der Internationalen Jugend, eine „sozialistische Organisation für Schüler:innen, Studierende, junge Arbeiter:innen und Erwerbslose“, so die Selbstbeschreibung auf der Website. Auf dem Instagramkanal der Gruppe existiert ein Video des Vorfalls:
Es zeigt mehrere Jugendliche, die mit geschlossenen Augen auf dem Pausenhof liegen, ein Schüler spricht in ein Megaphon. „Habt ihr Lust an die Ostfront zu ziehen und da für Deutschland zu sterben?“, fragt er. Er habe jedenfalls „keinen Bock mit 18 in einem Schützengraben zu liegen und mich zu fragen: Komme ich hier mit meinem Leben raus, oder ist es nur ein Bein und meine Menschlichkeit, die ich verliere.“ Kurz darauf tritt eine Frau ins Bild, nimmt dem Schüler das Megaphon ab, das Video endet.
Die Internationale Jugend vermittelt den Kontakt zu dem betreffenden Schüler, am Telefon meldet sich ein Jugendlicher. 16 Jahre ist er alt, seinen Namen in der Zeitung lesen möchte er nicht, Auskunft gibt er trotzdem bereitwillig: Gemeinsam mit anderen Schülern und Schülerinnen habe er sich gefragt, was man gegen den geplanten Bundeswehrbesuch unternehmen könne, erklärt er.
Seit dem Schuljahresstart sei dieser bekannt gewesen, habe die Schülerschaft darüber debattiert. Letztlich habe man sich für einen sogenanntes „Die-in“ – eine Protestform, bei der die Teilnehmer ihren Tod vortäuschen – zwei Tage vor dem avisierten Termin entschieden. Aus seiner Sicht sei die Bundeswehr immer stärker an Schulen vertreten, auch die Debatte um eine Wiedereinführung der Wehrpflicht werde konkreter geführt. Mit der Aktion habe man sich aktiv gegen eine „Militarisierung“ einsetzen wollen, sagt er.
Schule droht mit Verweis
Direkt nach der Aktion seien ihm auf dem Schulhof Ordnungsmaßnahmen angedroht worden, in der folgenden Schulstunde habe seine Lehrerin den Vorfall erneut thematisiert. Es folgte ein Gespräch bei der Schulleitung: Er habe den Schulfrieden gestört, so der Vorwurf. Durch das entstandene Video und sein voriges Engagement im Umfeld der Internationalen Jugend sei die Aktion noch mal neu zu bewerten, habe es geheißen, letztlich wurde mit einem Verweis gedroht. Ein Unterrichtsverbot am Tag des Besuchs habe es jedoch nicht gegeben: Vielmehr hätten ihn seine Eltern an diesem Tag aus der Schule genommen.
Konkret betreffen die Vorwürfe die Humboldtschule, ein städtisches Gymnasium in Reudnitz-Thonberg. Zu dem Fall werde man keine Stellungnahme abgeben, heißt es beim Anruf im Sekretariat, die Schule verweist direkt ans Landesamt für Schule und Bildung (Lasub).
Schulamt spricht von „massiver Störung des Schulfriedens“
Die Behörde stärkt der Schulleitung den Rücken. Durch das Verbreiten von „Parolen“ per Megaphon habe der Schüler nach Ansicht der Leitung „massiv den Schulfrieden gestört“, unmittelbar die „erfolgreiche Unterrichts- und Erziehungsarbeit“ beeinträchtigt und andere Schüler am Lernen gehindert, so Lasub-Sprecherin Christiane Zichel. Entsprechend stehe es der Schule zu, über passende Ordnungsmaßnahmen zu entscheiden – dies werde derzeit schulintern geprüft. Von Sanktionen gegen weitere beteiligte Schüler sei dem Amt indes nichts bekannt.
Von einer Unterdrückung unliebsamer Meinungen könne indes keine Rede sein, betont Zichel. Vielmehr sei demokratischer Diskurs ausdrücklich erwünscht – und werde durch die Schule auch ermöglicht. „Es ging nicht um die Meinungsäußerung, sondern um die Störung des Schulfriedens“, betont sie. Auch gegen den Vorwurf, die Bundeswehr betreibe mit ihren Schulbesuchen gezielt Werbung für einen Berufseinstieg in der Armee, verwehre man sich beim Lasub.
Bundeswehrbesuche: Informieren, aber nicht werben
So existiert seit 2010 eine Kooperationsvereinbarung zwischen Schulen und Bundeswehr, auf deren Basis sogenannte Jugendoffiziere in Schulklassen über verschiedene Themen informieren. Jeder Besuch finde dabei auf Basis des „Beutelsbacher Konsens“ statt, so Zichel. Dieser schließe Nachwuchswerbung im Zuge von Unterrichtsbesuchen explizit aus. Generell sei kommerzielle Werbung in Schulen bundesweit nicht erlaubt – und zwar weder von Firmen oder Konzernen, noch von der Bundeswehr.
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Bastian Fischer 15.11.2024
Bundeswehr-Besuch im Klassenzimmer: Was die Soldaten dürfen – und was verboten ist
Der Zwist um einen Besuch von Bundeswehrsoldaten an der Leipziger Humboldtschule sorgte für Aufruhr in der Schülerschaft. Doch warum geht die Bundeswehr überhaupt an Schulen, worüber wird gesprochen und was ist explizit verboten? Die LVZ hat bei den Streitkräften nachgefragt.
Es ist alles, aber sicher kein alltägliches Bild: Bundeswehroffizierinnen und -offiziere, die in einem Klassenzimmer über Krieg und Frieden, über ihre Arbeit und ihr Leben als Soldat erzählen. Mitunter schlagen solche Besuche bei Schülerinnen und Schülern hohe Wellen, wie jüngst an der Leipziger Humboldtschule. Andernorts laufen die Visiten gänzlich geräuschlos ab. Doch was genau tun die Offiziere bei ihren Besuchen eigentlich? Was dürfen sie – und was nicht? Die LVZ hat bei der Bundeswehr nachgefragt.
Fakt ist: Wirklich selten sind solche Besuche nicht, wie auch Hauptmann Tim Reinhold erklärt. Er ist Pressesprecher beim Ausbildungskommando der Bundeswehr in Leipzig.
Insgesamt 127 Vorträge und Seminare hielten die Jugendoffiziere allein im vergangenen Jahr in Leipzig sowie den beiden Landkreisen Nordsachsen und Leipzig. Ein stabiler Trend: Im laufenden Jahr standen bisher 115 Schulbesuche auf dem Plan. Die Besuche erfolgen dabei stets auf Einladung von Lehrkräften und nicht proaktiv durch die Bundeswehr selbst.
Breite Themenpalette, aber keine Beeinflussung
So breit gestreut wie die Orte, die von den Offizieren besucht werden, sind auch die Themen, die angesprochen werden, sagt Tim Reinhold. „Mögliche Vortragsthemen sind etwa die Grundlagen deutscher Sicherheitspolitik, die Aufgaben der Bundeswehr, aber auch Terrorismus, der Nahostkonflikt oder der russische Angriffskrieg in der Ukraine“, zählt er auf.
Von etwaiger Beeinflussung oder einseitiger Gewichtung könne bei den Besuchen keine Rede sein, so Hauptmann Reinhold. Denn: Grundlage der Besuche ist stets der „Beutelsbacher Konsens“, nach dem in der politischen Bildung „immer ein Überwältigungsverbot und ein Kontroversitätsgebot zu respektieren sind“, führt er aus.
Lebhafte, auch kritische Debatten, sind also nicht nur erlaubt, sondern ausdrücklich erwünscht – ganz nach dem Motto „Wir kämpfen auch dafür, dass Du gegen uns sein kannst“, wie Reinhold betont. Die jeweilige Lehrkraft ist zudem die gesamte Zeit über anwesend.
Werbung um Nachwuchs ausdrücklich verboten
Ebenso wenig erlaubt ist es den Offizieren, aktiv um Personalnachwuchs zu werben – sondern stattdessen sogar ausdrücklich verboten. „Bei Fragen zu Karrieremöglichkeiten bei der Bundeswehr, wird an die Karriereberatung verwiesen“, betont Reinhold nachdrücklich.