Politischer Vor-Merz

So, die Party ist vorbei. Der linksliberale Traum von einer vermittelnden Politik mit menschlichem Antlitz ist geplatzt. Fest steht: So woke kommen wir nicht mehr zusammen. Während ich Momente der Desillusionierung zwar als schmerzlich – aber auch als befreiend – empfinde, sind viele aus meinem Umfeld und Milieu noch nicht an diesem Punkt. Damit meine ich nicht, dass eine Verschlechterung der Lebenssituation Menschen automatisch bewusst macht oder ermächtigt. Im Gegenteil, erst durch die schrittweise Erkämpfung möglicher konkreter Verbesserungen ermutigen und emanzipieren sich Menschen.

Bei etlichen haben die Wahl von Trump und das Ende der Ampelregierung spontan Depressionen ausgelöst. Und das nicht zu unrecht, denn die Zeiten werden für viele weiterhin härter und kälter. Betrachten wir allein die angestrebte Abschaffung des Bürgergeldes, wird sich die neue Normalität sehr direkt durchschlagen, selbst wenn die Mühlen der Institutionen bekanntermaßen langsamer mahlen, als der zunehmend populistische Diskurs führender konservativer Politiker*innen. So aggressiv wie dieser ist und zielt er darauf ab, Tatsachen zu schaffen, indem diese lauthals als Notwendigkeiten behauptet werden.

Das politische Spektakel sollte nicht überbewertet werden. Immerhin besteht eine seiner maßgeblichen Funktionen darin, uns von den Eigentums- und Klassenverhältnissen, den eigentlichen Bastionen der zentralisierten, monopolisierten und gehorteten Macht, aber auch von unserer potenziellen Handlungsfähigkeit und der Perspektive auf das gute Leben für alle abzulenken. Vom Geplärre und Gezeter in den politischen Echokammern sollten wir uns nicht verdummen und verwirren lassen. Hingegen ist es Zeit, zusammen zu kommen und miteinander zu diskutieren, wie wie die Dinge wahrnehmen, einschätzen, empfinden und bewerten.

Brüche müssen mit Kontinuitäten im Zusammenhang gesehen werden. Die vermehrten Abschiebungen, welche wir beispielsweise künftig zu erwarten haben, wurden von der Ampelregierung ebenso in die Wege geleitet, wie die Delegitimierung von Antifaschismus und Klimagerechtigkeit, zugunsten von Verdrängung und technokratischer Erneuerung des Kapitalismus. Nach sieben wechselhaften Jahren, folgen nun sieben schwierige Jahre. Statt dass ein jedes die eigenen Schäfchen ins Trockene bringt, sollten wir uns Wasserschläuche organisieren, um den Marsch durch die Wüste anzutreten.

Vermutlich werden einige bei der zähen Wanderung über den heißen Sand zurückbleiben. Doch wenn wir uns gegenseitig helfen, kann es uns gelingen, eine neue Orientierung zu gewinnen und das wüste Land zu durchschreiten. Denn was wäre die Alternative? Im alten Haus verharren, während der Garten um uns herum immer weiter verdorrt? Oder möchtest du noch ein paar Gartenzwerge aufstellen, bevor wir der Emanzipation das Grab schaufeln?

Im Winter vor dem Merz sollten wir zur Abwechslung mal nicht in Panik und Aktionismus verfallen, die doch allzu oft kraftzehrende Reflexe bleiben. Wir sollten den Moralismus hinter uns lassen, der doch allzu schnell bei der Hand ist, um sich in der eigenen Ohnmacht zu empören – und letztendlich doch in dieser verharren zu können. Vielmehr wäre es an der Zeit, zusammen zu kommen, gut zueinander zu sein, selbstkritisch zu überlegen, was wir haben, was wir brauchen, wo wir herkommen und wo wir hinwollen.

Selbstverständlich kann es einen neuen Aufbruch geben, für alle sehnsüchtigen, ernsthaften, wundervollen Sozialist*innen, Anarchist*innen, Kommunist*innen, Linksliberalen, Radikaldemokrat*innen. Hoffen brauchen wir nicht mehr, wenn wir aktuell kein Ziel beschreiben können, woraufhin wir uns orientieren. Hoffen müssen wir nicht mehr, wenn wir uns endlich wirklich innerlich von der bestehenden Herrschaftsordnung und ihrem alltäglichen Wahnsinn distanzieren und eine kämpferische Haltung ihr gegenüber einnehmen.