Landgericht Gera: Baerbock als „dumme Kuh“ beleidigt: Altenburger kämpft gegen Verurteilung

Anmerkung: Bei dem Angeklagten handelt es sich offenbar um Stephane Simon, der in Leipzig in Reichsbürger- und NPD-Kreisen unterwegs war.

Auch über Ex-Kanzlerin Angela Merkel (CDU) ließ sich der Altenburger öffentlich auf dem Marktplatz aus, wurde schon zu einer saftigen Geldstrafe verurteilt. Doch weil er Rechtsmittel einlegte, ist sein Fall neu verhandelt worden – doch dann kam es zum Abbruch.

Altenburg/Gera. Sebastian Martin (Name geändert) ist bereits verurteilt worden. Das Amtsgericht befand den 56-Jährigen Ende 2022 für schuldig, vor drei Jahren öffentlich Annalena Baerbock (Grüne), Angela Merkel (CDU) und eine weibliche Putzkraft beleidigt und verunglimpft zu haben. Doch damit war der Verurteilte nicht einverstanden. Er legte Rechtsmittel gegen die richterliche Entscheidung ein. Also landete sein Fall nun in Gera vor dem Landgericht.

Obwohl Martin die Vorwürfe einräumt, sieht er sich nicht als schuldig. Es habe sich nicht um Beleidigungen, sondern um Tatsachenbehauptungen gehandelt, so seine Erklärung – in einem Fall sogar als eine Art verbaler Notwehr. Das Verfahren wird in Gera neu verhandelt, bis die geladenen Zeugen plötzlich nach Hause geschickt werden und der Prozess abgebrochen wird.

Angeklagter Altenburger erlebt Rassismus in Deutschland

Um seine Taten zu verstehen, holt Martin aus, müsse man seine Situation kennen. Er sei ein gebildeter Mann mit einem überdurchschnittlich hohen IQ-Wert, ein Gymnasiallehrer, der vor mehr als 30 Jahren aus Frankreich nach Deutschland gekommen ist. Zudem sei er der erste ausländische Bundespolizist geworden, darauf scheint er stolz zu sein, erwähnt den Fakt mehrfach. Er berichtet aber ebenso davon, dass er sich in seinem Alltag immer wieder mit rassistischer Diskriminierung konfrontiert sehe.

„Ich werde immer wieder daran erinnert, ein Ausländer zu sein“, kritisiert er. Das geschehe mindestens einmal in jeder Woche. Er vermisse den Respekt ihm gegenüber – „besonders in Mitteldeutschland“. Der Groll darüber sitzt offenbar tief. „Selbst ein Penner denkt, er sei mehr wert als ich, weil er Deutscher ist“, rutscht es ihm raus, als er sich – nicht nur einmal – in Rage redet.

„Keine Beleidigungen, sondern Tatsachen“

Aber wieso erkennt er seine Schuld nicht an? Ja, er habe die damalige Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock 2021 öffentlich auf dem Altenburger Markt eine „dumme Kuh“ genannt. Aber dabei habe er sich auf Tatsachen berufen. Es sei ihm um die Sprache der Grünen-Politikerin gegangen. Es sei erwiesen, so Martin, dass sie sich oft verspreche. „Sie spricht schlechter Deutsch als ich.“ Martin selbst spricht nahezu fehlerfrei mit wahrnehmbarem französischen Akzent.

Über Ex-Kanzlerin Angela Merkel sagte er in der gleichen Rede, sie sei zu DDR-Zeiten Inoffizielle Mitarbeiterin der Staatssicherheit unter dem Decknamen „IM Erika“ gewesen. Auch hier berufe er sich auf Quellen und erwähnt ein Youtube-Video, in dem die Behauptung vermeintlich belegt worden sein soll.

Vorfall in einer Bankfiliale

Der dritte Vorfall ereignete sich in einer Bankfiliale in Altenburg. Dort soll er eine Putzkraft als „du dumme Ossi-Fotze“ beleidigt haben. Laut Sebastian Martin sei der Situation eine Beleidigung ihrerseits vorausgegangen. Er, der es eilig gehabt hatte, weil er einen Zug nach Leipzig erreichen wollte, habe höflich gefragt, ob er den Geldautomaten benutzen dürfe, der gerade von der Frau gereinigt wurde. Sie habe dann abschätzig „Momento“ gesagt.

Martin habe seinen Zeitdruck erklärt und nochmals gebeten, kurz Geld abheben zu dürfen. Daraufhin habe die Frau, die „lügende Täterin“, wie er sie nennt, in seine Richtung geschrien: „Wenn es dir nicht passt, dann geh‘ in dein Land zurück.“ Das habe er sich nicht gefallen lassen wollen. Es sei laut geworden zwischen den beiden. Dabei fiel die Beleidigung. Dann habe er die Bankfiliale verlassen.

Hohe Strafe für Mann ohne Geld

Für die beiden Äußerungen über Baerbock und Merkel sowie für die Beleidigung der Putzkraft in der Bankfiliale wurde Sebastian Martin Ende 2022 am Amtsgericht zu einer Geldstrafe in Höhe von 140 Tagessätzen á 35 Euro, also insgesamt 4900 Euro, verurteilt. Bei der Neuverhandlung fragt das Gericht die Verteidigung und die Staatsanwaltschaft, ob sie sich auch außergerichtlich mittels einer Geldauflage einigen könnten? Doch das möchte keine der Parteien und Sebastian Martin ergänzt: „Ich habe eh kein Geld.“

Der derzeit Arbeitslose wird während des Prozesses mehrfach von der Richterin ermahnt, nicht dazwischenzureden, keine Bemerkungen zu machen und sitzen zu bleiben. Martin wirkt während der dreistündigen Verhandlung unruhig, schüttelt oft den Kopf, atmet laut aus, erhebt die Stimme und reagiert teils gereizt auf Fragen oder Äußerungen der Prozessbeteiligten. Als es Martin einmal zu viel wird, steht er unvermittelt auf, greift in die Tasche seiner Jacke, die über seinem Stuhl hängt und holt eine Schachtel Zigaretten heraus. Was er vorhabe, will die überraschte Richterin wissen. „Ich gehe auf Toilette und danach eine rauchen, ich brauche eine Pause“, antwortet Martin während er sich schon schnellen Schrittes auf dem Weg zum Ausgang des Verhandlungssaals befindet.

Angeklagter schuldfähig? Verteidiger beantragt Gutachten

Nach der unerwarteten Unterbrechung bringt Verteidiger Dirk Schwerd einen Antrag ins Spiel. Er möchte ein Gutachten, das die Schuldfähigkeit seines Mandanten bewerten soll. Denn es könne doch sein, so Schwerd, dass die verbalen Ausraster und das unüberlegte Handeln von Sebastian Martin aus einer psychischen Krankheit herleiten, womöglich eine Störung der Impulskontrolle hervorrufen. Wenn dem so sei, wäre sein Mandant dann überhaupt schuldfähig?

Der Staatsanwalt ist gegen ein solches Gutachten. Er erkennt keine Krankheit beim Angeklagten, sondern ein „Ego-Problem“. Eine Äußerung, die Sebastian Martin erneut aus der Fassung bringt. „Sie selbst haben ein viel größeres Ego-Problem“, entgegnet er.

Prozess wird verschoben

Letztlich entscheidet die Richterin, dass ein Gutachten über die Schuldfähigkeit von Sebastian Martin erstellt werden soll. Erst dann könne weiter verhandelt werden. Deshalb werden die geladenen Zeuginnen, die drei Stunden warten mussten, unter ihnen auch die Putzkraft aus Altenburg, ungehört entlassen und die Sitzung geschlossen. Ein Termin zur Fortsetzung der Verhandlung steht noch nicht fest.

LVZ