„Beleidigungen und Übergriffe sind Alltag“

Immer wieder gibt es in Dresden Hakenkreuz-Schmierereien und sogar rassistisch motivierte Angriffe. Betroffene scheuen sich oft, das anzuzeigen.

Dresden. Es passierte mitten am Tag vor zwei Wochen in der Dresdner Innenstadt. Unbekannte stießen eine Frau aus Libyen beim Verlassen eines Geschäfts an der Weißeritzstraße, die 35-Jährige stürzte. Kurz danach wurde sie von zwei Unbekannten an einer Haltestelle rassistisch beschimpft und ausgelacht, teilte die Polizei mit.

Immer wieder kommt es in Dresden zu rassistisch motivierten Über- und Angriffen auf Menschen. Ein paar Tage zuvor hatte ein Unbekannter einen Mann in einer Straßenbahn der Linie 7 beleidigt und einen anderen bedroht. Der Unbekannte stieg mit einem Begleiter am Hauptbahnhof in die Bahn der Linie 7 in Richtung Gorbitz. Er beleidigte einen laut Polizei „südländisch aussehenden Fahrgast“ rassistisch, woraufhin ein 21-Jähriger ihn zur Rede stellte. Diesen bedrohte der Tatverdächtige. Andere Fahrgäste verhinderten eine Eskalation.

Doch nicht nur körperliche Angriffe und Beleidigungen gibt es, die Polizei meldet auch immer wieder Hakenkreuz-Schmierereien in Dresden. Unbekannte hatten erst am 17. November an der Reitbahnstraße ein Graffiti an einer Hauswand hinterlassen. Die Täter schrieben mit schwarzer und roter Farbe mehrere Buchstaben und Zahlenfolgen. Auch ein Hakenkreuz brachten sie laut Polizei an der Wand an. Die Gesamtgröße der Schmierereien betrug rund zwei Meter mal 1,20 Meter.

Wie ist die Situation rassistisch motivierter Straftaten in Dresden? Haben derartige Fälle zugenommen?

Wie viele rechtsmotivierte Vorfälle gibt es in Dresden?

Der RAA Sachsen (Regionale Arbeitsstelle für Bildung, Integration und Demokratie e. V.) zählt für Dresden 2021 bisher 119 rechtsmotivierte und rassistische Vorfälle. Genannt werden nicht nur Angriffe, sondern auch Vorfälle wie Sachbeschädigungen, Schmierereien oder rechte Propaganda-Aktionen. Im ganzen Jahr 2020 waren es ebenfalls 119 Fälle.

Die Fachberatungsstelle Support für Betroffene rechter Gewalt des RAA Sachsen e. V. unterstützt in Sachsen seit 2005 Opfer rechtsmotivierter, rassistischer und antisemitischer Gewalt bei der Bewältigung der Tatfolgen und dokumentiert darüber hinaus diese Angriffe. Im Jahr 2020 hat die Stelle in 263 Fällen beraten.

Tom Bernhardt, Sprecher des Landeskriminalamtes (LKA) sagt dagegen, sowohl bei rassistischen als auch bei Propagandadelikten sei mit Stand Mitte November kein Anstieg von Fallzahlen der politisch motivierten Kriminalität in Dresden zu verzeichnen.

Er zählt für 2021 fünf Fälle, für 2020 16 und für 2019 13. Auch bei den Hakenkreuzschmierereien zählt er dieses Jahr weniger Fälle als in den anderen Jahren. Für 2021 sind es 48 und für 2020 76 Fälle. Lokale Schwerpunkte für diese Schmierereien seien vorwiegend öffentliche oder stark frequentierte Punkte und Plätze wie Schulen, Parkanlagen, Bänke, Schaltkästen, Automaten und Gebäude.

Auf die Frage, warum die Zahlen des LKA und des RAA so weit auseinander liegen, sagt Bernhardt: „Wir orientieren uns an vorliegenden, strafrechtlich relevanten Sachverhalten, welche auch beanzeigt sind. Die Kriterien der RAA kenne ich nicht.“

Wie geht es den betroffenen Menschen damit?

Dave Schmidtke vom Flüchtlingsrat sagt er, er habe seit 2013 Kontakt zu Geflüchteten in ganz Sachsen. Immer wieder erlebe er Menschen, die zwischen Ankommen und Weiterflucht und unter enormem Druck stünden. „Wer eine Flucht verarbeitet, um Aufenthalt kämpft, eine neue Sprache lernt und sich bemüht, ein Teil der anderen Gesellschaft zu sein, für den sind rassistische Erlebnisse kaum auszuhalten.“ Viele Migranten hätten Dresden und Sachsen aufgrund von Anfeindungen bereits verlassen oder hätten den Plan stets im Hinterkopf.

„Ich kenne Menschen, die nach einer strafbaren Körperverletzung nicht zur Polizei gegangen sind – aus Misstrauen gegenüber Behörden oder aus Angst vor weiterer Verfolgung“, sagt Schmidtke. Gerade urbane Zentren wie Dresden sollten sichere Räume sein, in denen Diversität offen gelebt werden kann – aber de facto seien „menschenfeindliche Beleidigungen und Übergriffe leider auch hier Alltag“, so Schmidtke.

Es sei unser aller Aufgabe, Zivilcourage zu zeigen und einzuschreiten, wenn wir Rassismus beobachten. Nichts sei für Betroffene entmutigender, als eine schweigende Mehrheit. Auch Eter Hachmann, Vorsitzende des Dresdner Ausländerrates, ist besorgt: „Rassistische Übergriffe dieser Art schaden nicht nur den Opfern, sondern auch der ganzen Gesellschaft. In was für einer Gesellschaft leben wir denn, wenn Menschen körperlich angegriffen werden, nur weil sie eine andere Hautfarbe haben oder Kopftücher tragen?“

Rassistische Angriffe würden tiefe Spuren und Narben bei den Opfern hinterlassen. „Hakenkreuze und Naziparolen sind eine große Gefahr für uns alle und diese Tendenzen haben in den letzten Jahren zugenommen. Nur mit einer richtigen Haltung, Zivilcourage und Humanismus können wir menschenfeindliche und rassistische Handlungen bekämpfen“, so Hachmann.

Die aktuelle Entwicklung, dass dieser Hass vermehrt in den öffentlichen Plätzen unverhohlen verbreitet wird, sei sehr besorgniserregend, sagt auch Viktor Vincze, Vorsitzender des Ausländerbeirates. „Da hilft nur Aufklärung, eine wachsame Zivilgesellschaft und konsequent harte Strafen für die Verbreitung verfassungsfeindlicher Symbole und Hassbotschaften. Da sind wir alle gefragt.“